Autonomere Schulen im Test

In einem Landesprojekt können ausgewählte Schulen in Nordrhein-Westfalen seit 2002 eigenverantwortlich wirtschaften. Auch der Unterricht soll so eigenständig weiterentwickelt werden – Experimentieren ist deshalb ausdrücklich erlaubt

VON SALVIO INCORVAIA

„Mehr Autonomie bedeutet auch Verantwortung und viel mehr Arbeit“, sagt Wilfried Lohre. Der Leiter des Landesprojekts „Selbstständige Schule NRW“ kennt die Schwierigkeiten und Erfolge mit denen 278 ausgewählte Schulen im ganzen Land derzeit zu kämpfen haben.

Seit zwei Jahren werden in ausgewählten Schulen neue Lehr- und Lernmethoden erprobt. Das Experiment ist Teil des gemeinsamen Projekts der „Bertelsmann Stiftung“ und des NRW-Schulministeriums. Der Startschuss fiel mit Beginn des Schuljahres 2002. Zuvor hatte der Landtag am 27. November 2000 die juristischen Weichen gestellt. Seitdem berechtigt das Schulentwicklungsgesetz unter gewissen Voraussetzungen Modelle der eigenverantwortlichen Steuerung an den Schulen zu erproben.

Lehrmethoden, Unterrichtsformen, Personalfragen, Materialbeschaffung sowie ihre innere Organisation können die so genannten „Selbstständigen Schulen“ nun eigenständig regeln. Lehrer sowie Schüler arbeiten und lernen hier mit großen Abweichungen vom geltenden Lehrplan in NRW.

„Herkömmliche Unterrichtsmethoden und Organisationsweisen haben oft die gezielte Umsetzung und Vermittlung von Anforderungen nicht erreicht“, meint etwa Schulleiter Günter Becker von der Kölner Grundschule Gellertstraße. Auch seine Schule beteiligt sich gleichberechtigt mit Haupt-, Real-, Gesamt- und Grundschulen sowie Gymnasien im Land am Projekt. Doch ob das neue Modell sich behauptet, werden die Schulen noch bis 2008 belegen müssen. Dann läuft die Projektbefristung ab und erst die Endauswertung wird ein Urteil fällen.

Für die Projekte haben Stadt und Land jeder Schule bis zu 5.000 Euro jährlich zur Verfügung gestellt, auf die je nach Förderungsbedarf Anspruch erhoben werden kann. Doch die neue Selbstbestimmtheit hat ihren Preis: Ein schulinternes Management soll auch die innere Organisation der Schule optimieren. Denn die Personalentwicklung ist von dem Projekt ebenso betroffen: Über die Einstellung von Lehrern kann nun jeder Schulleiter entscheiden. Grundsätze der Leistungsbewertung oder Versetzungsregeln für Schüler können ebenso schulintern verändert werden. „Selbstständig zu sein heißt nicht automatisch, besser zu sein“, warnt etwa Lohre vom Projektbüro ‚Selbstständige Schule NRW‘. Jede Schule müsse durch eine qualitätsorientierte Selbststeuerung ihre Ideen methodisch entwickeln und den Unterricht verbessern.

Die Eigenorganisation der autonomen Schulen fordert auch Unternehmergeist: Durch eigenes „Ressourcenmanagement“ erhalten die Schulen mehr Gelder zur eigenverantwortlichen Bewirtschaftung, auch ein eigenes Materialbudget ist nun vorhanden – und so muss nicht mehr für jedes Druckerpapier Geld beantragt werden.

Das dafür notwendige „externe Know-how“ sollen die Selbstständigen Schulen dabei von Unterrichtsberatungen erhalten. Diese Firmen können Schulleitung und Lehrpersonal beraten. Arbeitsweisen sollen damit professioneller und zur Verfügung stehendes Geld besser verwendet werden. Insgesamt hat es vor dem Projektstart über 400 Bewerber gegeben. Alle Schularten in NRW sind berücksichtigt worden. Auch die Lehrenden an den teilnehmenden Schulen haben in der Startphase umfangreiche Fortbildungsmaßnahmen erhalten.

Im Schulministerium zeigt man sich nach den ersten zwei Jahren bisher jedenfalls sehr zufrieden mit dem Projektverlauf und hofft auf eine bundesweite Vorreiterrolle des Landes NRW. Für Landesministerin Ute Schäfer (SPD) ist NRW „auf diesem Gebiet in ganz Deutschland führend: Unser Modellvorhaben ist das größte und bedeutendste weit und breit.“

Doch die gelobte Selbstständigkeit beinhaltet eben auch die Verpflichtung zur Rechenschaftslegung. Nach Ansicht der Landesregierung führt der Weg nicht nur zu mehr Qualität und Leistungsverbesserung an allen Schulen, sondern auch zu mehr Transparenz. Für die einzelnen Schulen bedeutet dies aber erstmal mehr Organisations- und Dokumentationsarbeit. Denn jede teilnehmende Einrichtung ist verpflichtet, einen konzeptionellen Rahmen für jedes einzelnen Projekt in einer so genannten Kooperationsvereinbarung zu formulieren. Deren genaue Umsetzung wird vom Land überwacht. Dazu gehören dann – ganz unselbständig – auch mal unerwartete Inspektionen vor Ort.