Hinter Gittern zum Facharbeiter

In Nordrhein-Westfalens Haftanstalten können Gefangene eine Weiterbildung absolvieren. Rund 100 Aus- und Weiterbildungsgänge werden mittlerweile angeboten. Gute Abschlussnoten sind dabei keine Seltenheit

VON SALVIO INCORVAIA

Bildung statt Langeweile – nach Kraftsport und der Arbeit in den Gefängniswerkstätten stehen bei Inhaftierten mittlerweile persönliche Weiter- und Ausbildungsmaßnahmen immer höher im Kurs. Das Angebot an Berufsabschlüssen wird dabei immer vielfältiger: Denn Weiterbildung ist vielen auch ein Stück willkommener Resozialisation.

„Im vergangenen Jahr haben 1.580 Gefangene ihre Aus- oder Weiterbildung erfolgreich abgeschlossen“, zieht Dieter Wendorf vom Landesjustizministerium eine zufriedene Bilanz. Gefangene können sich im NRW-Strafvollzug unter anderem zum Bäcker, Fliesenleger, Steuerfachgehilfen, PC-Techniker und Webdesigner ausbilden lassen.

Insgesamt sind im Jahr 2003 rund 3.700 Gefangene in Ausbildung gewesen. Bei Haftantritt hatten zwei Drittel der erwachsenen Gefangenen und fast 90 Prozent der Jugendlichen keine berufliche Qualifikation. So können lernwillige Gefängnisinsassen in NRW mittlerweile zwischen mehr als 100 Berufsausbildungs- und Weiterbildungsgängen wählen. Und während die Jugendlichen in der Freiheit um jeden Ausbildungsplatz konkurrieren müssen, sehen die Bildungsmöglichkeiten in den NRW-Gefängnis erstaunlicherweise etwas besser aus.

Wuppertal koordiniert Haftbildungswesen

„Mit Beginn des Strafvollzugsgesetzes 1976 haben wir im breiten Rahmen die Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten in den nordrhein-westfälischen Gefängnissen kontinuierlich ausgebaut“, erklärt Detlef Wenzel vom Landesvollzugsamt in Wuppertal. Mit den erworbenen Berufsabschlüssen sei auch die soziale Eingliederung der Insassen nach der Haftentlassung wesentlich besser möglich. Zudem werden die Weiterbildungsmaßnahmen seit zwei Jahren landesweit besser koordiniert.

Seit August 2002 ist das Landesvollzugsamt NRW durch die Zusammenlegung der ehemaligen Justizvollzugsämter Rheinland in Köln und Westfalen-Lippe in Hamm entstanden. Im Januar 2003 wurde es in Wuppertal angesiedelt und hat nun die Aufsicht über die 37 NRW-Justizvolzugsanstalten mit rund 18.000 Gefangene. Es untersteht dem Landes-Justizminister und übt auch die übergeordnete Aufsicht über die Weiterbildungsmaßnahmen aller Gefangenen im Bundesland aus.

Theorie und Praxis werden jedoch woanders unterrichtet: Die zentralen Aus- und Weiterbildungsstätten für NRW-Gefängnisinsassen sind in Geldern und Bochum angesiedelt. In beiden Weiterbildungs-Gefängnissen können die Insassen in 22 monatigen Kursen neue Qualifikationen oder sogar einen neuen Facharbeiterabschluss erwerben. So werden nach Bochum regelmäßig viele neue weiterbildungswillige Insassen aus anderen Gefängnissen verlegt.

Gute Noten, aber viele Abbrecher

„Zwar sind unsere Abschlussnoten im Durchschnitt sehr gut, doch dafür haben wir eine hohe Abbrecherquote“, sagt Thomas Block-Welz, der stellvertretende Anstaltsleiter der Justizvollzugsanstalt in Bochum. Viele Weiterbildungs-Insassen hätten Probleme mit dem regelmäßigen Lernen, hinzu gesellten sich häufig Suchtprobleme.

Die JVA im Bochumer Stadtteil Langendreer ist in NRW die zentrale Ausbildungsstätte für erwachsene Strafgefangene im offenen Vollzug. Das Ausbildungs-Gefängnis ist seit 1969 auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Neu-Iserlohn angesiedelt. Hier werden den Inhaftierten in enger Partnerschaft mit dem Ausbildungsträger – dem Berufsfortbildungswerk des Deutschen Gewerkschaftsbundes (bfw) – berufliche Qualifizierungen ermöglicht, die sich an den aktuellen Bedürfnissen des freien Arbeitsmarktes orientieren sollen.

Doch auch nach der Qualifikation und der Entlassung werden die ehemaligen Knast-Umschüler weiter betreut. Ein dichtes Netzwerk aus Verbänden und Arbeitgebern soll den entlassenen Häftlingen mit ihrer neuen Qualifikation helfen, schneller einen neuen Arbeitsplatz vermittelt zu bekommen. Entlassene und neu umgeschulte Gefangenen werden so ein halbes Jahr lang weiter sozial von der JVA Bochum betreut.

Gut ausgestattetes Weiterbildungsgefängnis

„Für unsere Aufgabe der zentralen Umschulung sind wir gut eingerichtet“, glaubt Anstalts-Vize Block-Welz. Die Einrichtung besitze alle nötigen Voraussetzungen zur Ausbildung. Zufrieden verweist der Anstaltsleiter auf die vorhandene Ausrüstung: Sein Weiterbildungsgefängnis verfügt über eine Belegungsfähigkeit von 204 Haftplätzen. Die Berufsförderungsstätte bietet über 175 Ausbildungsplätze in modern ausgestatteten Räumen und Werkstätten auf dem neuesten Stand der Technik. So können inhaftierte Frauen und Männer ohne technische Einschränkungen in den umgebauten Hallen und Räumen der ehemaligen Zeche zum Industriemechaniker, Betriebstechnik-Elektroniker, Gärtner, Maurer, Maler/Lackierer sowie Schweißer ausgebildet werden.

Je nach Ausbildung dauert die neue Qualifikation zwischen zwei und 21 Monaten. Auch der allgemeine Facharbeiterbrief kann hier erworben werden. Die Knastabschlüsse gleichen dabei denen in der freien Wirtschaft. Die Prüfung werden von der Industrie- und Handelskammer, den Handwerks- oder auch den Landwirtschaftskammern abgenommen. Die schließlich ausgehändigten Zeugnisse lassen übrigens keinen Rückschluss auf den Ausbildungsort zu.

Rund 60 Prozent aller Teilnehmer schließen die Ausbildung in der JVA Bochum erfolgreich ab. Praxis und projektbezogenes Arbeiten stehen dabei im Vordergrund. So haben Maurer, Elektriker und Maler in der Zweiganstalt Recklinghausen einen Kellerraum zum Kraftsportraum umgebaut. Derzeit gestalten die Umschüler im Garten- und Landschaftsbau des Außengeländes an der Justizvollzugsschule in Wuppertal neu. Dabei müssen sich die Gefängnis-Azubis auch an der Planung und den Kundengesprächen beteiligen. Realitätsnähe wird dabei groß geschrieben: Einzelne Projekte müssen von den Gefangenen fristgerecht zum Abschluss gebracht werden.

Auf die Realitätsnähe und das feingliedrige Weiterbildungssystem verweist auch die Landesregierung. Justizminister Wolfgang Gerhards (SPD) sagt: „Jeder, der dafür geeignet ist, erhält eine Chance, seine berufliche Qualifikation zu verbessern.“