Auge zu gegen Sonnenbrille

Wegen Bestechlichkeit, Erpressung von Häftlingen und Gefangenenbefreiung verurteilte das Amtsgericht gestern einen Wärter der Justizvollzugsanstalt in Oslebshausen zu drei Jahren Freiheitsstrafe. Wird das rechtskräftig, kommt er selbst hinter Gitter

Bremen taz ■ Zum Schluss sah sich der Angeklagte als das eigentliche Opfer im Knast: „Ich habe immer gute Arbeit geleistet. Und jetzt haben mir die Häftlinge richtig ein Ei gelegt. Die haben, was sie wollen“, klagte Joachim H. Dessen These von der guten Arbeit und dem Ei mochte Amtsrichter Hans Ahlers aber nicht folgen: Er verurteilte den Justizvollzugsbeamten gestern zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren ohne Bewährung – wegen Bestechlichkeit, Erpressung von Gefangenen und Gefangenenbefreiung. Der Richter folgte damit im Wesentlichen dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft.

Das Gericht sah folgendes Geschehen in der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen als erwiesen an: Im Dezember 2000 ermöglichte der Justzivollzugsbeamte Joachim H. dem Häftling S. bei einem Freigang die Flucht. Als dieser geschnappt und in den Knast zurückgebracht wurde, verlangte H. eine Gegenleistung – und erhielt Goldschmuck von der Frau des Häftlings. Einen anderen Häftling erpresste H. ein halbes Jahr lang immer wieder, so das Gericht. Der Justizvollzugsbeamte hatte den Häftling F. mit einem Handy erwischt – diese sind im Gefängnis aber verboten. H. nutzte die Situation kaltschnäuzig aus: Er meldete den Handybesitz nicht der Gefängnisleitung und forderte stattdessen immer wieder Wertgegenstände von dem Häftling – die dieser auch brav ablieferte: eine Sonnenbrille im Wert von 300 bis 400 Euro, zwei Laptops, einen Flachbildschirm. Erst als H. im Oktober 2002 auch noch einen Videorekorder, zwei weitere Laptops und 500 Euro wollte, ging F. zur Staatsanwaltschaft. Bei einer fingierten Übergabe von Gut und Geld auf einem Supermarkt-Parkplatz wurde H. dann verhaftet.

„Der Angeklagte hat die Notsituation der Gefangenen ausgenutzt. Sie waren ihm ausgeliefert. Diese Tatsache muss sich in der Strafe ganz erheblich auswirken“, begründete der Richter die Höhe des Strafmaßes. Und glaubte nicht, dass die verhandelten Fälle bereits alle Straftaten von Joachim H. waren: „Wir glauben im Gegenteil, dass das hier nur die Spitze des Eisbergs war und auch darüber hinaus Geld geflossen ist“, so Ahlers.

Der Angeklagte blieb hingegen bei seiner Darstellung, die Häftlinge hätten ihm die Gegenstände freiwillig überlassen oder verkauft. Er konnte allerdings nicht beweisen, dass er dem Gefangenen F. je Geld für Flachbildschirm oder Laptops bezahlt hatte. Im Gegenteil: Bei der fingierten Übergabe nahm der Angeklagte dem Häftling noch 500 Euro ab. „Ich hab‘ mich auch gewundert, warum F. mir zusätzlich Geld in die Hand drückt und hab’ gesagt: ‚Wieso, du kriegst doch noch was von mir‘“, erzählte Joachim H. dem Gericht. Gleichwohl steckte er das Geld und die erpresste Ware ein und wollte sich rasch vom Acker machen – so zeigt es jedenfalls ein Polizei-Video von der Übergabe.

Auch die Zeugen, die die Verteidigung präsentierte, vermochten Richter und Schöffen nicht zu überzeugen. So beteuerte der Häftling M., Joachim H. habe niemals etwas von Gefangenen angenommen. Damit widersprach er der Aussage von H. selbst, der ja bereits zugegeben hatte, Wertgegenstände von Gefangenen angenommen zu haben – nur eben nicht erpresst. „Wer solche Freunde hat, der braucht nicht unbedingt auch noch Feinde“, kommentierte Ahlers diesen Auftritt.

„Offensichtlich wollte das Gericht der Darstellung der Staatsanwaltschaft folgen – aufgrund der Aussage von mehrfach vorbestraften Betrügern und Dieben“, sagte Joachim H.s Anwalt Mehmet Diler nach dem Urteil. Und kündigte an, beim Landgericht Berufung einzulegen.

Ins Gefängnis Oslebshausen wird der Angeklagte aber wohl nie mehr zurückkehren: Nicht als JVA-Beamter – denn selbst wenn das Landgericht ihn freisprechen sollte, wartet noch ein Disziplinarverfahren auf H. Und nicht als Häftling: „Das kann ich mir nun wirklich nicht vorstellen“, meinte die Staatsanwältin, „dass man ihn an seinem ehemaligen Arbeitsplatz einsperrt.“Dorothea Siegle