Frauen und Säuglinge im Massengrab

Im Nordirak werden die Leichen von 200 Opfern Saddam Husseins exhumiert. Vermutlich handelt es sich dabei um Kurden. Wann die Prozesse gegen den ehemaligen Diktator und seine Mitstreiter aufgenommen werden, ist nicht bekannt

VON BEATE SEEL

Im Nordirak ist gestern ein Massengrab mit knapp zweihundert Opfern des ehemaligen Diktators Saddam Hussein geöffnet worden. Darunter waren auch zahlreiche Frauen, Säuglinge und Kinder. Laut irakischen und US-Angaben handelt es sich bei den Leichen, die in neun Gräben in dem Dorf Hatra südlich von Mossul geborgen wurden, um Opfer der Anfal-Kampagne aus den Jahren 1987 und 1988. Damals wurden Schätzungen zufolge etwa 100.000 Kurden getötet. Die jetzt Exhumierten sollen aus der Region Duchan in der Nähe der kurdischen Stadt Suleimanija stammen.

Nach einem Bericht des britischen Rundfunksenders BBC enthielt einer der Gräben nur die Leichen von Frauen und Kindern, darunter der Körper einer Frau, die ihr Kind in den Armen hielt. Das Kind hatte eine Schussverletzung im Rücken, die Frau im Gesicht. Andere Kinder hielten Spielzeug in ihren Händen. Auch Überreste von Schwangeren wurden gefunden. In einem anderen Graben lagen die Leichen von Männern in traditioneller kurdischer Kleidung mit verbundenen Augen.

Es ist das erste Mal, dass das irakische Kriegsverbrechertribunal die wissenschaftliche Exhumierung eines Massengrabs vornahm. Greg Kehoe, der US-Beauftragte für das Sondergericht gegen die ehemalige irakische Führungsriege, der auch fünf Jahre im Balkan tätig war, sagte gegenüber BBC: „Ich habe noch nie so etwas gesehen, Frauen und Kinder, die ohne ersichtlichen Grund getötet wurden.“ Er kritisierte, dass die Untersuchung der Massengräber, in denen etwa 300.000 Opfer Saddam Husseins vermutet werden, nur langsam voranginge, weil sich die Europäer nicht daran beteiligten.

Das irakische Ministerium für Menschenrechte hat Berichten zufolge vierzig mutmaßliche Massengräber im ganzen Land ausgemacht. Viele von ihnen wurden nach dem Sturz des Diktators von Irakern geöffnet, die darin Angehörige vermuteten. Dabei zerstörten sie unwillentlich Beweismaterial, das von der Anklage für den geplanten Prozess gegen Saddam Hussein benötigt wird.

Der Zeitpunkt für den Beginn der ersten Verfahren gegen hochrangige Mitarbeiter des Regimes steht noch nicht fest. Ministerpräsident Ajad Allawi drängt darauf, dass das Sondergericht bald seine Arbeit aufnimmt. Dies entspricht vermutlich den Wünschen der USA. Bilder von Saddams Schergen vor Gericht dürften dem wegen des Irakkriegs gebeutelten George W. Bush im Wahlkampf gelegen kommen. Doch die Sicherheitslage lässt das derzeit kaum zu. Dabei geht es nicht nur um den Schutz des Gerichtsgebäudes, sondern auch um den der Zeugen der Anklage.

Das Kriegsverbrechertribunal wird sich mit Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit befassen. Außerdem wird es um die Verschwendung nationaler Ressourcen und öffentlicher Gelder sowie um Machtmissbrauch gehen. Das Tribunal wird vermutlich mit Verfahren gegen Mitarbeiter Saddams beginnen, in der Hoffnung, dadurch zusätzliches Material gegen den Exdiktator zusammenzutragen.