Phallus mit drei Glöckchen

Das Hamburger Helms-Museum zeigt eine archäologische Sonderausstellung zur Geschichte der Sexualität. Fazit: Phasen der Prüderie wechselten sich ab mit solchen äußerster Freizügigkeit. Was eine Epoche für normal hielt, galt der anderen als pervers

Aus HamburgGernot Knödler

In die Ausstellung „100.000 Jahre Sex“, die Volksaufklärer Oswalt Kolle gestern Abend im Harburger Helms-Museum eröffnete, gelangt nur, wer den Pfad der Tugend nicht verlässt. Auf dem Fußboden des Foyers stehen Fragen, mit denen Besucher klären können, ob sie gerade heute Sex haben dürften – zumindest nach den Moralvorstellungen, die Bischof Burchard von Worms um das Jahr 1000 festgehalten hat: „Ist gerade Pfingsten?, ... Fastenzeit?, ... Adventszeit?“ Wer trotzdem vögelt, fährt zur Hölle. „Hätte man die damaligen Vorschriften alle befolgt, wäre die Menschheit längst ausgestorben“, sagt Rainer-Maria Weiss, der Direktor des Helms-Museums augenzwinkernd.

Sex durfte man vor allem nicht genießen

Wer die Sonderausstellung besucht, erkennt, dass auf diese Risikophasen solche äußerster Freizügigkeit folgten – und umgekehrt. Den deutlichsten Epochenbruch auch auf sexuellem Gebiet erkennen die Archäologen denn auch im Übergang von der Antike zum Mittelalter. Während sich in die Römerzeit noch viel von der sinnenfrohen und vielfältigen Sexualität des klassischen Griechenlands gerettet hatte, versuchte die Kirche den Sex auf die Fortpflanzung zu beschränken. „Man durfte ihn vor allem nicht genießen“, sagt Vincent van Vilsteren vom Drents-Museum in Assen (Niederlande), der die Ausstellung konzipiert hat. 30 bis 35 Prozent der zu büßenden Sünden in Burchards Beichtkatalog lagen auf sexuellem Gebiet.

Ungewiss ist, inwiefern diese Regeln tatsächlich befolgt wurden. Zumindest für das ausgehende Mittelalter ist reichlich Kritik am Lotterleben in den Klöstern überliefert. Aus dem 16. Jahrhundert stammen die gläsernen Trinkgefäße in Penisform samt Hodensack und Schamhaar, die im Badezimmer einer Äbtissin gefunden wurden. „Die Nonnenklöster waren die größten Abnehmer von Holzdildos“, sagt Henrike Bird vom Helms-Museum. Das sei durch Aufzeichnungen verbürgt. Und die älteste abendländische Beschreibung eines Dildos stammt wieder von Burchard. In der Ausstellung ist auch ein Marktstand von 1690 nachgebildet – zwischen Gemüse, Körben und Kaninchen wurden Holzdildos mit Fell am Ansatz verkauft.

Die ältesten Kondome schützten vor Syphilis

Zu sehen sind die ältesten erhaltenen Kondome. Sie sind aus Schafdarm, niemals benutzt worden und stammen aus einer Kloake in London. Darüber haben die Kuratoren einen von der Syphilis angefressenen Schädel platziert: Kondome wurden im 17. Jahrhundert nicht zur Empfängnisverhütung benutzt, sondern um die Ansteckung mit Geschlechtskrankheiten zu vermeiden.

Eine gewisse Ironie liegt in der Tatsache, dass ausgerechnet die Epoche, in der begonnen wurde, im großen Stil und systematisch die Reste der sinnenfrohen Antike auszugraben, eine besonders prüde war. Die Sex-Artikel aus Athen und dem Römischen Weltreich wurden lange Zeit unter Verschluss gehalten, so im Gabinetto Segreto“ in Neapel oder dem Secret Cabinet“ des Britischen Museums. „Die Geschichte der Entdeckung Pompeis zeigt die Entwicklung unserer Perspektive“, sagt Weiss. Es habe eine Zeit gegeben, wo die Forscher in allen Ecken Pompeis Bordelle vermuteten, wegen der erotischen Darstellungen, die überall zu finden waren. Heute sei klar, dass erotische Mosaiken auch ganz gewöhnliche Wohnhäuser schmückten.

Van Vilsteren warnte davor, die alten Exponate zu sehr durch den Filter unserer heutigen Moral zu betrachten: „Was wir heute als ferkelig sehen, galt als natürlich, als es hergestellt wurde.“ Die Römer brachten Phallus-Reliefs an ihren Hauswänden an, um Fruchtbarkeit und Reichtum anzuziehen. Kleine Bronze-Phalli hängten sie sich um den Hals, um dem Bösen Blick zu begegnen. Zu den schönsten Exponaten in dieser Reihe gehört ein geflügelter Phallus mit Hunde-Hinterteil, an dem drei Glöckchen hängen.

Auch die ältesten Darstellungen, wie die 25.000 Jahre alte „Venus von Willendorf“ (Kopie), sind zum Teil hoch erotisch. Mit ihren schweren Brüsten würde sie exzellent in die St. Pauli-Nachrich-ten passen. Trotzdem behält die Ausstellung ihren archäologischen Charakter. Van Vilsteren ließ sie mit 3D-Aktfotos von 1880 enden. „Es war nicht meine Absicht zu schockieren“, sagt er. Die modernen Sachen seien in diversen Sex-Museen zu besichtigen. Ein Publikumsrenner war die Schau in den Niederlanden aber auch so.

Die Ausstellung „100.000 Jahre Sex“ ist noch bis zum 16. Januar 2005 im Helms-Museum, Museumsplatz 2, in Hamburg-Harburg zu sehen. Eintritt Di bis So von 10 bis 17 Uhr für sechs Euro, ermäßigt drei; www.helmsmuseum.de