Korn mit Moderator

Wo hört der Event auf, wo fängt die Literatur an? In Hamburg geht der Machtclub in seine vierte Saison. Schriftsteller lesen hier nur eine Armlänge vom Publikum entfernt. Ein Besuch

von Andrea Mertes

Keine Klischees, das haben wir uns vorgenommen. Wir haben in der Einlassschlange im Malersaal des Schauspielhauses ausgeharrt, an diesem Dienstagabend, und bewusst nicht auf die vielen schwarzen Rollkragenpullover geachtet. Von der Höflichkeit des Türstehers – „Wer eine Karte hat, bitte in die Schlange rechts. Reservierte Karten bitte links anstellen“ – schließen wir nicht auf den Bildungsstand der Gemeinschaft. Wir haben auch nicht über eine Trinkkultur spekuliert, die Flaschenbiere bevorzugt. Selbst oder gerade weil diese – „aus Sicherheitsgründen“, so der Schankmann – in Plastikbecher umgefüllt werden. Wir verstehen T-Shirt-Botschaften wie „Menschenfreund!“ nicht systemtheoretisch. Es ist uns schwer gefallen mitunter. Aber wir wollten es wirklich wissen: Ist der Machtclub mehr als ein literarischer Szenetreff?

Ausverkauft ist der Abend bereits, bevor die Abendkasse öffnete. Der freundliche Schlangen-Koordinator sagt, es gebe 300 Einlasskarten. Oder 350? Oder war da schon die Zahl derer mit eingerechnet, die nachträglich eingeschleust wurden? So genau haben wir das nicht verstanden, die Rollkragen-Flaschenbier-Menschen haben sich alle so viel zu erzählen. Auf jeden Fall eine Menge Leute, wenn man bedenkt, dass hier nur vorgelesen werden soll.

Der Machtclub ist nicht anderes als eine regelmäßige Lesung, mit ein bisschen lockerer Moderation und einer Jägermeisterschaft dazwischen. Letzteres bedeutet, sich mit Schnäpsen Laune anzutrinken und dann Leute aus dem Publikum ans Mikro zu lassen, die Selbstgeschriebenes zum Besten geben.

So. Jetzt denken Sie wahrscheinlich, dass dies doch immer das Gleiche ist. Studierte End-Zwanziger, Anfang-Dreißiger und ihre Ausgehkultur. Späterwachsene unter sich.

Das dachten wir auch. Aber der Machtclub ist mehr als das. Zunächst einmal hat er eine Geschichte. Mit diesem Abend im Malersaal geht diese Literaturveranstaltung mit Moderatoren-Duo und gesponsertem Korn in die vierte Saison. Seit acht Jahren organisiert sich in Hamburg eine junge Literaturbewegung. Poetry Slams und Spoken-Word-Performances waren der Anfang. Mittlerweile gibt es eine eigene Bürogemeinschaft namens Writers Room, No-Budget-Verlage für Berufseinsteiger und einen eigenen Verein. Macht e.V. ist die Stimme, mit der Hamburgs junge Autoren sprechen. Der Verein bietet alles, was sich ein junger Schreiber an Möglichkeiten und Zuspruch nur wünschen kann, alles außer Macht vielleicht.

Auch der Club ist ein Projekt des Vereins. 2000 war der Start, seither haben lokale und etablierte Literaten 36-mal auf Vereinskosten ihre Texte heruntergerasselt oder theatralisiert, je nach Charakteranlage. Und wenn, wie an diesem Dienstagabend, ein internationaler Gast angekündigt ist – Mian Mian aus Shanghai –, dann ist auch ihre deutsche Stimme ein ebenbürtiger Name. Die Schauspielerin Christine Paul las aus der deutschen Übersetzung Deine Nacht, mein Tag. Das war auch ganz gut so, fand Mian Mian. „Autorenlesungen sind Part der europäischen Kultur.“ Ein paar Sätze auf Japanisch hat sie dann doch noch vorgetragen, und siehe da, Sprache ist auch ohne Sinn sehr schön.

Ein literarischer Salon ist der Machtclub nicht, aber eine Fundgrube für alle Arten von Typen und Texten. Das Publikum sitzt wegen Überfüllung auf der Bühne, die Moderatoren grasen unter ihnen, immer auf der Suche nach Stand-up-Literatur. So wird Arne gefragt, was er gemacht habe während der Sommerpause des Clubs. „Ein Kind gezeugt. Mit Erfolg.“ Auch eine schöne Geschichte.

In der Pause wird dann der Büchertisch umlagert, aber nach dem Ende des Abends kann Juli Zeh, die eben ihren neuen Roman Spieltrieb vorgestellt hat, unbelästigt am Tresen sitzen und einen Absacker trinken. Liebhaber gibt es hier viele, Groupies keine. Die meisten Zuhörer sind auch schon auf dem Weg nach Hause, in der Hand eine Papptüte mit Büchern: Geschenke aus den Altbeständen des Vereins.

Der Machtclub ist etwas anderes als eine Lesung mit Günter Grass im Bürgersaal, keine Frage. Er ist eine echte Alternative.

Nächster Machtclub: 9.11., Schauspielhaus, Malersaal, mit Tobias Hülswitt und Thomas Kapielski