Die eigene Heimat ins Zimmer holen

In der Modellbahnausstellung im FEZ tummeln sich kleine und große Eisenbahnfans. Normalerweise nehmen die modellbegeisterten Väter ihre Kinder nur als Alibi mit. In dem Köpenicker Freizeitzentrum scheint es andersherum zu sein

VON JOHANNES GERNERT

Manche haben keine Ahnung von echtem Wasser. Die denken: Wasser ist blau. Dann nehmen sie ein bisschen Gießharz, färben das ein, und am Ende soll es wie ein Fluss aussehen. Wirkliches Flusswasser aber ist oben hell und unten dunkel. Farblich: durchsichtig bis dreckig grün. Also muss der Gießharz unten dunkel sein und oben hell. „Das muss man der Natur auch nachempfinden“, sagt Erika Frye. „Da muss man mit offenen Augen durch die Welt gehen.“ Sonst glänzt das Wasser seltsam. „Nichts ist schlimmer als dieses Spiegelige.“ Dann sieht die Modellbahn aus wie eine Modellbahn, nicht wie die Natur, die Welt, das Leben.

Erika Frye würde nicht so viel über die Authentizität von Modellbahnwasser wissen, wenn sie nicht mit Heinz-Ulrich Grumpe zusammen wäre. Sie hat ihrem Freund geholfen, die Bahnstation „Linden, Indiana“ in ihrem Heimatort nahe Münster in den gemieteten Transporter zu packen. Für die Internationale Modellbahnausstellung im FEZ Wuhlheide haben sie die Holzbretter mit dem amerikanischen Bahnhofsgebäude wieder ausgepackt. Jetzt steht Erika Frye hinter den Verladeanlagen, dem Bergwerk und dem Bahnhof von Müschede („der Ulli ist da zur Schule gegangen“) – alles Einzelstücke ohne Züge. Er kümmert sich vorne um „Linden, Indiana“.

„Ein reines Ausstellungsstück ist das“, sagt Grumpe. Er war viel unterwegs damit. Auch im Ausland, Holland, Belgien. Nach jeder Ausstellung klebt ein neuer Sticker auf dem Holz der Anlage: „Faszination Modellbahn, Messe Sinsheim“. In dem Kasten fahren abwechselnd eine Dampf- und eine Diesellok am Bahnhofsgebäude aus Kunststoffplatten und an den Bäumchen aus Meerschaum vorbei, auf die er Blätter aus Schaumstoffflocken gestreut hat. Die Schienenstränge, Spurbreite 9 Millimeter, verlaufen im Kreis. Nur eine Hälfte ist bebaut. Wenn die Loks außer Sichtweite gefahren sind, kriecht langsame Country-Musik hinter der Anlage hervor. „Die Leute wollen was sehen“, sagt Grumpe. „Deshalb der tragbare CD-Spieler.“

Es sind viele Kinder unterwegs im FEZ Wuhlheide, schließlich sind Herbstferien. Sonst werden sie eher als Alibi mitgenommen, vermutet Grumpe. Hier scheint es, als hätten einige ihre widerwilligen Väter mitgeschleift. Die fühlen sich offensichtlich genötigt, interessiert zu wirken. In welcher Reihenfolge klebt man die Sachen eigentlich auf? „Erst die Schienen und dann der Schotter oder erst der Schotter und dann die Schienen?“, fragt so ein Papa Erika Frye. Sie ruft: „Ülli“. Ülli sagt: „Erst die Schienen und dann der Schotter natürlich.“ Er lächelt milde. Der Papa muss kurze Zeit später mal eben nach den Kindern schauen.

Einige Meter weiter murmelt Wolfgang Klaus etwas, was sich wie „Neue Hauptstraße“ anhört. Er trägt keine Schaffnermütze auf dem weißen Haar, seine Jacke ist grün, nicht blau. Es bimmelt. Die Straßenbahn fährt weiter. Wolfgang Klaus ist Nahverkehrsexperte. „Folgendes Thema“, sagt er, „Nahverkehr ist ein eigenes Sachgebiet.“ Viele Modellbauer würden das unterschätzen. Die dächten Bahn, U-Bahn, Straßenbahn: alles eins. Daher auch die ganzen Fehler in der Straßenbahnberichterstattung von Modellbahnmagazinen. „Weil die keine Ahnung haben.“ Wolfgang Klaus dagegen weiß, dass manche Weichen langsam befahren werden müssen. Er steuert die gelben Wägen behutsam in die Kurven. Irgendwann brummelt er wieder: „Neue Hauptstraße“. Fast alle Stationen auf dem wenige Quadratmeter großen Stück Stadt scheinen so zu heißen.

Ein wesentlicher Vorteil des Sachgebiets Nahverkehr, erläutert Wolfgang Klaus, liege im Stapeln. Mehrere Ebenen sind möglich: U-Bahn unten, Straßenbahn oben. Trotzdem bleibt alles originalgetreu. Die U-Bahn nämlich fährt auch in der Wirklichkeit unten. Das erklärte Ziel eines Modellbahners ist es ja, „sich seine Heimat ins Zimmer zu holen“, möglichst viel davon. So formuliert es Klaus. Ein Vertreter der „Interessengemeinschaft Eisenbahn/Modelleisenbahn“ vom Stand gegenüber sagt: „Da wir Brandenburger sind, nehmen wir die Landschaft, die wir vor der Nase haben, und gestalten die flache Ebene.“ Genau da sieht Klaus den Nutzen des städtischen Modellbahn-Nahverkehrs. Von der gestapelten Stadt kann man sich mehr ins Zimmer holen, als von der flachen Ebene.

Internationale Modellbahn-Ausstellung noch bis zum 17. Oktober, im FEZ in Köpenick, An der Wuhlheide 197