ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL
: Die nackte Wahrheit, frei heraus

Wo das Volk schwitzt und stöhnt, ist es ganz bei sich: in der Sauna. Das macht eine Erkältung sehr attraktiv

Lesen Sie unbedingt diese Kolumne. In diesem Text gibt es

1. die Wahrheit. Und

2. jede Menge nackter Leute.

Beides ist allerdings nicht schön.

In der sechsmonatigen Jahreszeit, in denen den Menschen in diesem Land gelber Schleim aus der Nase rinnt, gehe ich regelmäßig in die Sauna. Das ist teuer, aber gesundheitlich erforderlich. Saunieren stärkt die Abwehrkräfte gegen Grippe, Erkältung und Infekte. Es schwächt allerdings die Abwehrkräfte gegen Zweifel, ob eine Demokratie mit allgemeinem Wahlrecht und Meinungsfreiheit tatsächlich die beste Staatsform ist.

Damit meine ich nicht die Rentner, die versuchen den Saunameister zu einem „lecker Knoblauchaufguss“ zu überreden. Auch nicht ihre Freunde mit den roten Rüben, die zwischen jedem Saunagang zwei Pils trinken. Oder die Schlachtschiffe, die auf der Ruheliege mit einem Uta-Danella-Buch auf dem gewaltigen Busen einschlafen. Das alles schockt mich lange nicht mehr.

Mich schocken junge Mütter. Als ich neulich bei einem Besuch im Ruhrgebiet gemeinsam mit meiner Schwester eine Sauna besuchte, schwitzen sie zu dritt, neben sich vier Kinder und einige unschuldige Mitschwitzer.

Die drei nackten Mütter besprechen eine Geschichte aus der Lokalzeitung: Auf einem Spielplatz hat ein fremder Mann ein Kind angesprochen, das ist schnell nach Hause gelaufen, jetzt sucht die Polizei den Mann.

Mutter 1: „Hoffentlich kriegen die das Schwein!“

Mutter 2: „Ach, die lassen den doch sowieso wieder laufen.“

Mutter 3: „Höchstens kriegt der ’ne schöne Therapie. Mit Vollpension und so.“

Mutter 1: „Solche Schweine müsste man ganz anders … Am besten sofort kastrieren“.

Mutter 3: „Aber nicht einfach nur so was durchschneiden – Marcel, bleibst du auf dem Handtuch! –, sondern so richtig kaputtmachen.“

Mutter 1: „Am besten in so einem Gewürzmörser.“

Mutter 3: „Und das in die Zeitung und im Fernsehen bringen: Dann spricht kein Schwein mehr Kinder an.“

Nach diesem Dialog verspüre ich ein leichtes Ziehen im Scrotum. Meine Schwester sieht blass um die Nase aus. Die anderen Saunagäste scheinen aber glücklich vor sich hin zu schwitzen.

„Verstehst du jetzt, warum ich niemals in eine Sauna gehe, die in meinem Schulbezirk liegt?“, fragt meine Schwester, die als Lehrerin arbeitet, als wir uns an der Bar bei Ananassaft erholen. Sie hat Recht: Will man die Achtung vor Menschen bewahren, trifft man sie tunlichst nicht schwitzend und nackt. Mit den Klamotten lassen die Leute auch die letzten Hemmungen fallen. Nackt und schwitzend sind die Menschen ganz bei sich.

Früher erzählte meine Schwester gern eine Anekdote aus London. Als Studentin war sie dort einmal in der Sauna. Das war so ein richtiges Dampfbad, in dem man zuerst nichts sieht, wenn man es betritt. Als sich die Nebelschwaden verflüchtigten, erschrak meine Schwester: Sie stand nackt unter einem Dutzend Engländern – die alle eine Badehose anhatten. Die wagten nicht einmal zu lächeln, geschweige denn irgendwelche Kommentare abzugeben. Jahrelang haben wir über die Tommies gelacht, die nicht einmal in der Sauna Badehosen und Hemmungen ablegen können. Heute lachen wir nicht. Hüllen sind Gnade. Hemmungen auch.

Nach einer halben Stunde haben wir uns erholt und wagen einen weiteren Gang: Eine Sauna, die mit einem Holzfeuer geheizt wird, scheint frei von Müttern mit Kindern und Kastrationsfantasien. Nur zwei Männer, einer Schnauzbart, einer Goldkettchen, sitzen in ihrem Schweiße – Gott sei Dank schweigend.

Bis eine Angestellte in weißer Kleidung und Birkenstocks hereinkommt, grußlos neue Scheite in den Kamin schiebt und den Raum wieder verlässt. Die Ruhe ist vorbei:

Schnauzbart: „Ey, das war doch die Uschi.“

Goldkettchen: „Wie? Welche Uschi?“

Schnauzbart: „Na die Uschi. Die beim Heimi an der Dorstener Straße anschaffen geht.“

Goldkettchen: „Jau. Stimmt. Die Uschi. Arbeitet jetzt wohl hier.“

Schnauzbart: „Die muss uns doch erkannt haben. Hat nich ma guten Tach gesagt.“

Goldkettchen: „Hält sich jetzt wohl für was Besseres.“

So schlimm ist so eine Erkältung doch auch wieder nicht.

Uschis Telefonnummer? kolumne@taz.de MONTAG: Peter Unfried über Charts