: Ein Hoch auf den Edelpilz
Gegen den Massengeschmack: Bei der Jahrespräsentation des Weinbundes Berlin gibt es diesmal ein „Süßes Zimmer“. In ihm können Beerenauslesen, Portweine und andere Süßweine probiert werden
von SABINE HERRE
Diese Tage Anfang November liebt er besonders. Wenn nachts die Nebel steigen, bis in den späten Vormittag in den Tälern liegen, um dann schließlich doch noch strahlender Sonne Platz zu machen, dann gedeiht er gut: der Botrytis cinerea, der Schimmelpilz. Die Rheinhessen und die Burgenländer und auch die Menschen im Bordeaux, sie lieben ihn, denn er lässt ihre Weintrauben faulen und ermöglicht so die Entstehung der kostbarsten und süßesten Weine Europas. An diesem Sonntag haben BerlinerInnen die Gelegenheit, gleich dreißig von ihnen zu probieren: Im „Süßen Zimmer“, das der Berliner Weinbund im Rahmen seiner dritten Jahrespräsentation im Palais am Festungsgraben öffnet.
Süße Weine? Für viele, die gewohnt sind an einen knochentrockenen Weißen, ist das sicher eine geschmackliche Herausforderung. 9 Gramm Zucker pro Liter darf ein trockener deutscher Weißwein maximal enthalten, beim griechischen Samos des Charlottenburger Weinhauses Cava, der nicht umsonst den Namen Nektar trägt, sind es 150.
Die hohe Konzentration entsteht auf ganz unterschiedliche Weise, das Prinzip ist jedoch fast überall das gleiche. Durch besonders viel Sonne, durch das Trocknen der Beeren oder eben durch die fleißige Arbeit der Pilzsporen. Diese lassen sich auf den Schalen der reifen Trauben nieder, fügen ihnen mikroskopisch kleine Verletzungen zu, über die sie anschließend ins Innere der Beere gelangen. Dort ernährt sich der Edelpilz von Zucker und Säure, was zu deren Konzentration und zugleich zu neuen, geschmacksintensiven Verbindungen führt. Das Ergebnis: Die Weine wirken exotisch, duften nach Honig und schmecken nach Mango oder Karamel.
Die meisten Plätze im „Süßen Zimmer“ nehmen Auslesen aus Deutschland ein. Aber auch Frankreich, Griechenland und Österreich sind gut vertreten. Ziel der zehn Berliner Händler, die sich vor vier Jahren zum Weinbund zusammenschlossen, ist es, dem „konfektionierten Massengeschmack“ etwas entgegenzusetzen. „Der Trend zum trockenen Wein ist auch in Berlin ungebrochen, doch wir wollen zeigen, dass es eben auch ganz andere Weine gibt“, sagt Reiner Türk vom Kreuzberger Weinkeller. Ein Manko der Süßweinpräsentation ist sicherlich das Fehlen der ungarischen Tokajer, denn zum einen sind die 1650 erstmals erwähnten Weine vermutlich die ältesten Süßweine der Neuzeit, zum anderen erreicht der „Wein der Könige“ inzwischen wieder die Qualität aus vorsozialistischer Zeit.
Doch wozu soll man diese süßen Exoten nun trinken? Als Aperitif eignen sich, so Vinum-Weinhändler Andreas Schiechel, zum Beispiel viele der französischen „Vin doux naturel“, die im Unterschied zu dem, was ihr Name sagt, gar nicht natürlich, sondern mit Alkohol „aufgespritet“ sind.
Oder natürlich zu Desserts. So passt der aus dem Grenzgebiet zu Spanien stammende Juraçon der Domaine du Cinquau zu einer Orangencreme, denn er duftet selbst nach Zitrusfrüchten und Orangenschalen. Auch ungewöhnliche Kombinationen sind möglich: Zu gebratenem Hähnchen etwa, meint Frankreichexperte Schichel, „kann man gut einfachen süßen Bordeaux trinken. Das war früher das Sonntagsessen der Bauern.“
Jahrespräsentation des Weinbundes mit insgesamt rund 300 Weinen im Palais am Festungsgraben, Mitte, Sonntag 14–20 Uhr, Eintritt 12,50 Euro, www.weinbund-berlin.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen