Das Wettrennen der Demoskopen

Die Meinungsforschung ist beliebt. Die Aussagen der Umfragen sind allerdings fragwürdig

WASHINGTON taz ■ Kaum ein Tag vergeht im Wahljahr, an dem keine neuen Umfrage-Ergebnisse im Rennen um das Weiße Haus veröffentlicht und ausführlich analysiert werden: Zustimmungsraten für den „Job“ des Präsidenten, Meinungen zu allen möglichen Politik-Feldern und der Vergleich zum Herausforderer. Je näher der Urnengang, je hektischer die Datenflut. Vor allem nach den Parteitagen, nach jedem TV-Duell – aufgeteilt für jeden Bundesstaat – wird die Öffentlichkeit mit Umfragen überschüttet.

Die Ergebnisse zeigen jedoch zum Teil erhebliche Schwankungen. Das liegt an den verschiedenen Meinungsforschungsinstituten, die in den USA landesweite Umfragen durchführen. Die bekanntesten sind Gallup, Mason-Dixon, Survey USA, Rasmussen und Zogby. Sie werden überwiegend von Fernsehsendern und Zeitungen beauftragt, aber auch von politischen Beraterfirmen und den Parteien selbst.

Die Institute nutzen unterschiedliche Befragungsmethoden und behaupten, die akkurateste Technik anzuwenden. Alle arbeiten mit Stichproben zwischen 800 und 1.000 Leuten. Gängige Praxis sind Telefoninterviews. Manche Meinungsforscher sind mittlerweile umgestiegen auf computergestützte automatische Befragungen mit Tonbändern, bei denen der Befragte antwortet, indem er Nummern auf dem Telefon drückt. Tests mit dieser Methode haben jedoch einen erheblichen Manipulationsspielraum ergeben. Da die Interviews zudem nur über Festanschlüsse geführt werden, fällt die wachsende Zahl an Handy-Benutzern heraus. Dazu zählen viele Amerikaner unter dreißig.

Meinungsforscher geben selbst zu, dass 90 Prozent der Amerikaner nicht an Telefonumfragen teilnehmen. Die meisten Leute würden abends nicht mehr den Hörer abnehmen, da zu viele Firmen um ihre Aufmerksamkeit werben. So würden tagsüber überproportional viele ältere Leute und Hausfrauen antworten, die durchschnittlich konservativer sind. Die Forschungsinstitute verteidigen jedoch ihre Methoden. Dank moderner Statistik und jahrzehntelanger Erfahrung seien die Ergebnisse am Ende repräsentativ. Die Fehlerquote liegt bei drei bis vier Prozent.

Obwohl nur registrierte Wähler von den Umfragen erfasst werden, ist verwirrend, dass die Umfrage-Ergebnisse in zwei Kategorien aufgeteilt werden: In registrierte Wähler und „likely voters“, solche, die „wahrscheinlich“ wählen gehen. Das liegt daran, dass wahlberechtigte Bürger sich in Wählerlisten eintragen lassen müssen, um auch tatsächlich stimmberechtigt zu sein. Schließlich gibt es keine Einwohnermeldeämter oder Personalausweise. Ein registrierter Bürger geht jedoch nicht automatisch wählen. Daher wird versucht, die Wahrscheinlichkeit der Stimmabgabe zu ermitteln. Unter Minderheiten und Armen ist die Wahlbeteiligung allgemein geringer. Im Jahre 2000 waren 76 Prozent der Wahlberechtigten registriert. Jedoch nur 67 Prozent der registrierten Wähler ging zu den Wahlurnen. Das heißt, 51 Prozent der Wahlberechtigten wählten am Ende den Präsidenten.

Unter den „wahrscheinlichen“ Wählern schnitt Präsident Bush bislang besser ab, während Kerry mehr Punkte unter den registrierten Wählern bekommt. Die Institute legen jedoch nicht ihre Befragungstechniken offen und erklären nicht überzeugend, wie sie einen „wahrscheinlichen“ Wähler definieren. Kritiker wittern daher eine systemimmanente Parteinahme. So musste sich Gallup jüngst vorwerfen lassen, zu Bush-freundlich zu sein. Das von der Zeitung USA Today und CNN beauftragte Institut präsentierte lange Zeit Umfragen, die Bush mit bis zu zweistelligen Werten deutlich vor Kerry sahen – Ergebnisse, die von anderen Meinungsforschern nicht widergespiegelt wurden. Sie ermittelten eher ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Vielleicht gibt es am 2. November jedoch eine Überraschung. Selten war das Interesse und Engagement unter den Wählern so groß wie in diesem Jahr. Kerry wäre geholfen, sollten sich überdurchschnittlich viele Schwarze und Latinos – alle kaum von Umfragen berücksichtigt – registrieren lassen und wählen gehen. Und Bush könnte von der starken konservativen Bewegung im Mittleren Westen und im Bibelgürtel profitieren.MICHAEL STRECK