Strategische Partner im Weltall

Noch kurz vor dem EU-China-Gipfel in Peking soll US-Präsident Bush versucht haben, das Galileo-Abkommen zu verhindern

aus Peking GEORG BLUME

Es war eine Zeremonie, wie sie Mao gefallen hätte. Ausgerechnet in der Großen Halle des Volkes, die mit ihrem Marmorpomp ganz nach dem leicht größenwahnsinnigen Geschmack des Großen Steuermanns eingerichtet ist, setzten gestern Chinesen und Europäer ihre Unterschrift unter ein Dokument, das ein neue strategische Balance zwischen den Großmächten schaffen könnte.

Schon einmal gelang den Kommunisten ein solcher Streich: Als Mao 1972 mit US-Präsident Richard Nixon das Schanghaier Kommuniqué veröffentlichte. Damals erzielte China ein politisch-strategisches Einverständnis mit den USA, um den Großmachtanspruch der Sowjetunion in die Schranken zu weisen. Heute sieht es nun ganz danach aus, als hätte Peking mit Brüssel ein wirtschaftsstrategisches Einverständnis erzielt, um – zumindest im Weltraum – den US-Hegemonialdrang zu stoppen. Nicht anders lässt sich der Vertrag interpretieren, mit dem gestern der Beitritt Chinas zum EU-Satelliten-Navigationssystem Galileo besiegelt wurde.

Die US-Amerikaner monopolisieren bisher mit ihrem GPS-Navigationssystem die militärische und kommerzielle Nutzung des Weltraums. Daher entschieden die EU-Staaten nach langen Debatten, gegen den erklärten Widerstand Washingtons ein eigenes Satelliten-Navigationssystem aufzubauen. Doch das europäische Raketenträgersystem Ariane 5 gilt derzeit als unsicher, ganz im Gegensatz zu dem chinesischen Trägersystem Langer Marsch, das zuletzt 29 erfolgreiche Starts in Folge verbuchte.

Nach 2008 muss es dem Galileo-Unternehmen dann gelingen, für sein global ausgerichtetes Satellitensystem in aller Welt Nutzer zu finden und neue Anwendungsformen zu entwickeln. Als heute schon größter Mobilfunkmarkt der Welt mit über 200 Millionen Handybesitzern verspricht China hier den auf Anhieb größten wirtschaftlichen Erfolg. Was lag also näher als ein europäisch-chinesisches Bündnis im Weltraum?

Rainer Grohe, geschäftsführender Direktor von „Galileo Joint Undertaking“, erkannte auf Anhieb den „ungeheuren Reiz“, China mit seinem „hervorragenden Potenzial“ in das EU-Programm einzubinden. So wurde seit sechs Monaten zwischen Brüssel und Peking verhandelt. Hindernisse gab es zunächst auf europäischer Seite: Die hinter Ariane stehenden Industriekonzerne fürchteten um die Monopolstellung ihres Systems im Rahmen von Galileo. Daher sieht der Vertrag nun keine – wie von Peking gefordert – Verpflichtung zum Einsatz der chinesischen Rakete vor.

Nächster Verhandlungpunkt: den Chinesen die Idee aus dem Kopf schlagen, sie könnten an der auch militärisch bedeutsamen Satellitenentwicklung teilnehmen. „Sicherheitssensible Fragen wurden ausgeklammert“, versichert ein EU-Diplomat. „Wir haben das Prinzip einräumen müssen, dass der Satellitenbau eine europäische Sache bleibt“, meint auch Yin Jung, Abteilungsleiter für Europaangelegenheiten im Pekinger Forschungsministerium. Doch China gehe es laut Yin darum, ein „stabiles Umfeld für eine neue Zukunftsindustrie“ zu schaffen. Das liefere Galileo. Für China handele es sich dabei um das „bislang größte technologische Kooperationsprojekt mit dem Westen“.

Wie viel damit auf dem Spiel stand, wurde in den Tagen vor der Unterzeichnung deutlich. Denn obwohl die Verhandlungsführer bereits Ende September ein Abkommen festgezurrt hatten, fehlte das Thema Galileo plötzlich auf der Tagesordnung des EU-Verkehrsministerrats in der vergangenen Woche. Was folgte war „italienisches Chaos“, wie es ein EU-Beamter ausdrückt. Doch womöglich steckte dahinter der gezielte Versuch Washingtons, das Abkommen in letzter Minute zu torpedieren.

So sprechen EU-Diplomaten von dem „Gerücht“, dass US-Präsident Bush letzte Woche bei EU-Ratspräsident Berlusconi persönlich intervenierte. Den Vermutungen zufolge sei der italienische Verkehrsminister daraufhin Berlusconis Anweisungen gefolgt und habe das Galileo-Abkommen von der Tagesordnung genommen. Erst ein Gespräch zwischen EU-Kommissionschef Prodi und Berlusconi am Sonntag hätte dann Klärung gebracht und den EU-Ministern erlaubt, das Abkommen doch noch rechtzeitig abzusegnen.

„Klar, dass die Amerikaner nicht besonders glücklich sind, wenn es darum geht, ihre Monopolstellung im Weltall aufzubrechen“, erklärt sich ein EU-Diplomat das Gerangel in Brüssel. Wobei sich Washington vor allem um die technologische Dynamik sorgt, die dem Abkommen zwischen China und der EU zugrunde liegt. Bisher sind es nur 200 Millionen Euro, die China gestern mit seiner Unterschrift für die erste, drei Milliarden Euro teure Entwicklungsphase von Galileo bereitstellte. Doch schon 2010 könnte das Galileo-Projekt nach EU-Schätzung 10 Milliarden Euro im Jahr wert sein – und China davon einen Anteil von über 30 Prozent umsetzen. Wenige Jahre später rechnet man sogar mit einem Galileo-Umsatz von bis zu 170 Milliarden Euro.

Je schneller sich dabei die Raumfahrttechnologie entwickelt, desto enger würden die chinesischen und europäischen Industriekomplexe zusammenwachsen – und dabei auf die Dauer wohl auch die „sicherheitssensiblen Bereiche“ kaum ausgrenzen können. Wie dichtete Mao in seinem „Traum der Weltraumeroberung“: „Nichts ist schwierig in dieser Welt / ist da der Wille / die Höhen zu erklimmen.“