Wer den Schaden hat ...

... wird im Zivilbereich oft unterschiedlich entschädigt: Während das Sozialgericht die Beweislast für physische Langzeitschäden noch immer beim Kläger sieht, entscheidet das Arbeitsgericht bei psychischer Belastung auch schon mal ganzheitlich

von Magda Schneider

Eine Körperverletzung ist eine Körperverletzung. Und dabei ist es strafrechtlich ziemlich egal, ob diese vorsätzlich, versehentlich oder unbewusst verursacht wurde. Doch im Zivilbereich gibt es bei der Regulierung der Folgen Unterschiede: Was im Schadenersatzverfahren oft selbstverständlich ist, ist im Sozialrecht noch immer mit Tabus behaftet. Und im Arbeitsrecht zeichnet sich vielleicht ein Wandel ab.

Unternehmensberaterin Katja Klein* ist nach fünf Stunden Fahrt mit dem Auto aus Frankfurt in Hamburg eingetroffen. Sie fährt vorsichtig, denn laut Verkehrsfunk hat es gerade Eisregen gegeben. Plötzlich rennt ihr Karsten Papst* vors Auto. Sie weicht aus, rutscht weg und obwohl es ihr zunächst gelingt, ihr Fahrzeug abzufangen, kommt sie auf der abschüssigen Straße doch wieder ins Schlittern und prallt nach 200 Metern auf ein parkendes Auto. Dabei verletzt sie sich und kann eine Woche nicht arbeiten.

Seine Unachtsamkeit habe damit nichts zu tun, argumentiert Papst, dann wäre sie doch sofort in ein Auto gekracht. Dass dies erst nach 200 Metern passierte, sei „völlig untypisch“. Zudem müsse geprüft werden, ob Klein wegen Übermündung fahruntauglich gewesen sei und, da sie mit hochhackigen Stiefeln gefahren sei, den Unfall selbst verschuldet habe. Und überhaupt könnten Frauen ja nicht Auto fahren. Diese Argumentation war selbst der Haftpflichtversicherung zu dumm; sie zahlte Schaden, Schmerzensgeld und Verdienstausfall – wohl nicht zuletzt, weil sie wenig Chancen sah, mit einer solchen Aussage vor einem Zivilgericht durchzukommen.

Bei Berufserkrankungen jedoch gelten derartige Ausschluss-Prämissen oft noch. „Die Beweislast, dass dies wirklich die Ursache war, liegt bei Ihnen“, beschied kürzlich eine Sozialrichterin Klaus Meyer*, der wegen Spätfolgen einer Lösungsmittelerkrankung gegen die Berufsgenossenschaft (BG) Druck und Papier geklagt hatte. Der Drucker war in den 70er Jahren lange Zeit ahnungslos gesundheitsschädlichen Lösungsmitteln ausgesetzt – in einem Raum ohne Lüftungsanlage, der sich im Sommer auf 40 Grad aufheizte, dunsteten mit Trichloräthylen-haltigen Reinigern verschmutzte Putzlappen in offenen Tonnen vor sich hin.

Ein Facharzt, an den sich Meyer wegen zunehmender Magen- und Kreislaufbeschwerden wandte, fand heraus: Mit dem unter anderem verwendeten so genannten „Böttcherin Rot“ hätte nur mit einer Gasmaske und im Freien gearbeitet werden dürfen. Er prophezeite zusätzliche Beschwerden, doch als die Jahre später tatsächlich eintraten, sahen Meyer und seine Ärzte zunächst dennoch keinen kausalen Zusammenhang. Schließlich hatten in dieser Zeit arbeitsmedizinische Gutachter den Berufsgenossenschaften immer wieder attestiert, dass chlorierte Kohlenwasserstoffe keine Langzeitfolgen hervorrufen.

Dies behaupten bundesdeutsche BG-Gutachter bis heute. Und das, obwohl es inzwischen in Skandinavien und den USA Langzeitstudien gibt, die das Gegenteil beweisen. Wer vor das Sozialgericht zieht, um die BG auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente zu verklagen, wird mit Gutachter-Argumenten à la Papst konfrontiert: Dass die Krankheitserscheinungen erst so spät aufgetreten seien, sei „untypisch“, es könnte ja auch andere Ursachen geben – wie zu viel Alkohol oder sogar eine erbliche Belastung.

Doch anders als im Schadensfall Katja Klein greift hier die Argumentation. Dass die Erkrankung etwas mit den Zuständen am damaligen Arbeitsplatz zu tun haben könnte, wollte die Sozialrichterin im Fall Meyer gar nicht bestreiten, es müsse aber genau nachgewiesen werden, dass die Beschwerden auf diesen Zeitraum und ausschließlich auf diese Ursache zurückzuführen sind. Nach 25 Jahren ein aussichtsloses Unterfangen, zumal sich in dieser Zeit die Arbeitsschutzämter trotz vieler Anzeigen nicht gerade durch offensives Vorgehen in den Betrieben hervorgetan hatten „Damit ist jede Klage dieser Art zum Scheitern verurteilt“, resümiert Meyers Anwalt Sebastian Busch.

„Das liegt daran, dass die Justiz viele Komplexe nicht ganzheitlich sieht“, bemängelt Dieter Gröblinghoff, Hamburger Gutachter für Mobbing-Verfahren. Auch in diesem Bereich soll der Kläger beweisen, dass die psychische Erkrankung auf konkrete Schikanen im Betrieb, von Kollegen oder Vorgesetzten zurückzuführen sind. Gröblinghoff: „Während Mediziner und Arbeitspsychologen solche Komplexe seit zehn Jahren ganzheitlich sehen, hat man in der Justiz bislang nur den Einzelaspekt bewertet.“ Inzwischen sieht er punktuell einen Wandel im Arbeitsrecht: „Seit 2001 gibt es die ersten Mobbing-Urteile, in denen Richter einen Fall ganzheitlich beurteilt haben.“

Ein kompliziertes Unterfangen, weiß der Mobbing-Experte. Denn oft seien Fälle psychischer Erkrankung langwierig und benötigten eine umfangreiche Diagnostik. „Das bedeutet, dass sich zum Teil überlastete Richter in einen komplizierten Einzelfall einarbeiten müssen.“ Daher bleibt letztlich das Problem. „Ein Richter ist ziemlich frei“, sagt Gröblinghoff. „Er muss ein Gutachten nicht wahrnehmen.“

*Namen geändert