Streichkonzert als Ouvertüre

Verlagerungen, Verkleinerungen, Konzentrationen: Nach dem Willen der Hochschulpräsidenten soll es an den Berliner Universitäten trotz des politisch verordneten Sparzwangs zu keinem Abbau des „Gesamtfächerangebots“ kommen

VON CHRISTOPH RASCH

In den kommenden fünf Jahren müssen sich die drei großen Berliner Unis um ein Fünftel verkleinern – rund 230 von 1.200 Professorenstellen fallen weg. Die Kürzungen von 75 Millionen Euro sind längst in den Strukturplänen der Unis enthalten. Und seit einigen Monaten hat der Sparzwang neben einem neuen Outfit auch einen neuen Namen.

Die KBU, die Konferenz der Berliner Universitäten, soll seit Ende Juni die vom Berliner Senat vorgegebenen Budgeteinschnitte in vertretbare Bahnen lenken – Schadensbegrenzung im Hochschuldeutsch, „durch ein Höchstmaß an Kompatibilität und Kohärenz bei der Fächerstrukturierung und der Ausgestaltung der Schwerpunkte“. Im Klartext: „Alle Angebote in Wissenschaft und Forschung werden künftig miteinander abgesprochen“, sagt HU-Präsident Jürgen Mlynek, ebenso wie die Sparmaßnahmen, die zunächst in uniinternen Arbeitsgruppen erarbeitet und dann als Strukturplan dem Land Berlin vorgelegt wurden.

Dieser „Pakt für Koordination und Hochschulautonomie“ sei zwar ein Novum in der Berliner Hochschulgeschichte, aber für die Beteiligten nicht unbedingt ein Schritt hin zu einer Berliner Hochschulfusion. Die hält etwa FU-Präsident Dieter Lenzen weiterhin für „völlig unsinnig“. Gleichwohl hat die Debatte um die Zusammenlegung der Berliner Hochschulen und die angepeilte „University of Berlin“ neuen Auftrieb erhalten, nachdem entsprechende Fusionspläne für die beiden Münchner Unis die Runde machten.

Das Credo der Berliner Hochschulen: „Alle Fachbereiche bleiben in Berlin erhalten“, irgendwie. Geplante Schließungen wie die der landwirtschaftlich-gärtnerischen HU-Fakultät scheinen vorerst vom Tisch: Dafür werden auch hier 17 von 31 Professorenstellen gestrichen – beispielhaft für den Berliner Strukturwandel. Kein Abbau des „Gesamtfächerangebots“ sollen das Bild prägen, sondern Verlagerungen, Verkleinerungen und Konzentrationen – und das „Fächerkarussell“ kommt in Schwung: TU und HU geben ihre Lehrerausbildung an die FU ab, die wiederum zehn Studiengänge einstellt und Angebote wie Indologie oder Evangelische Theologie an die HU weiterreicht.

Am deutlichsten lässt sich der „strategische Wandel“ derzeit an der Technischen Universität ablesen: Während dort in den Naturwissenschaften und technisch orientierten Fachrichtungen nur einzelne Angebote wegfallen, streichen die TU-Geisteswissenschaftler mehr als die Hälfte ihrer bislang 47 Fachgebiete zusammen: Geschichte auf Lehramt, Erziehungs- und Musikwissenschaften fallen schon zum Wintersemester weg, Angebote wie Deutsche Philologie oder Linguistik folgen im Sommer, insgesamt 62 Professorenstellen müssen dran glauben. Das sind 20 Prozent des Angebotsspektrums.

Hinter diesen für die TU-Verwaltung „schmerzhaften Einschnitten“ steht – ob gewollt oder gemusst – eine Strategie: „Die TU soll sich als Ansprechpartner für die Industrie profilieren“, so TU-Präsident Kurt Kutzler. Das Streichkonzert als Ouvertüre zur Bildung von Schwerpunkten, die an der TU etwa „Mobilität & Verkehr“ heißen. An der Humboldt-Uni – Eigenwerbung: „Reformuniversität im Zeichen der Exzellenz“ – fallen mindestens 73 Professuren weg, die stärksten Kürzungen gibt es in den Fachrichtungen Landwirtschaft, Theologie, Asien- und Afrikawissenschaften sowie Romanistik.

Nicht überall sind die Kürzungen schon spürbar. Goran Krstin, Sprecher des FU-Präsidenten: „Im einsetzenden Wintersemester werden noch keine Einsparmaßnahmen vorgenommen.“ Durch die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen werde das Lehrpersonal sogar noch aufgestockt. Auch die Verlängerung der Professorenarbeitszeit und die Angebote der Fachhochschulen könnten einige der Kürzungen wieder wettmachen, hofft Berlins Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS). Dass, wie befürchtet wird, durch die Umstrukturierung in Berlin bis zu 10.000 Studienplätze verloren gehen könnten, glaubt Flierl nicht: „Höchstens ein paar hundert.“

In jedem Fall verkleinern sich die Kapazitäten der Berliner Unis – und dem steht aktuell ein wahrer Ansturm von Studienanfängern gegenüber. Für die rund 5.000 FU-Studienplätze gab es 22.000 Bewerber, an der HU mehr als 20.000 um 4.600 Plätze – hier vor allem für Medien- und Erziehungswissenschaften, Reha-Pädagogik und Biologie. Wie viele Bewerber tatsächlich zugelassen werden, steht erst Ende Oktober fest. Dann, wenn sich auch das Abgeordnetenhaus mit den Hochschulverträgen befasst, wird sich zeigen, ob die Finanzen und damit die Umstrukturierungs- und Profilierungspläne der Unis tatsächlich auf sicherem Boden stehen. Fliers Senatskollege Thilo Sarrazin (SPD) jedenfalls ist mit dem bisherigen Ergebnis der Verhandlungen unzufrieden; diskutiert wird weiterhin über alternative Finanzierungsmodelle und auch über eine externe „Wirtschaftskommission“, die den Sparprozess begleiten soll – und vom bisherigen „Reformmotor“ KBU abgelehnt wird.

Der Erfolg des Gremiums, so FU-Präsidiumssprecher Goran Krstin, „hängt allerdings davon ab, dass die geltenden Rechtsregelungen mit ihrem Autonomiegewinn nicht verändert werden“. Die andauernden Interventionsversuche der Berliner Politik jedenfalls beobachten die Unis mit Skepsis. „Bisher“, so Goran Krstin, „hat sich der Senat nicht vertragsbrüchig gezeigt.“