Fehlende Aneignung

Seit 1964 führt Inez Franken das Möbelgeschäft „Modus“. Mehr als die Produkte haben sich seither ihre Kunden gewandelt. Heute nehmen sie sich kaum mehr Zeit, die Dinge genau zu betrachten

von MICHAEL KASISKE

taz: Frau Franksen, 1964 haben Sie ein Möbelgeschäft der besonderen Art eröffnet. Wie kam es dazu?

Inez Franksen: Ganz einfach, ich musste Geld verdienen. Damals habe ich an der Hochschule der Künste bei dem Bildhauer Hans Uhlmann studiert, doch freie Kunst ist recht brotlos. Da bot sich die Chance …

ein Möbelgeschäft „Bauhütte“ zu übernehmen.

Ich habe mir Geld gepumpt und mit Karla Pfefferkorn neu eröffnet, erst nur im Erdgeschoss, später auch im Obergeschoss. Die Idee zu diesem Schritt kam allerdings von dem Architekten und Freund Werner Düttmann, dessen Akademie der Künste am Hanseatenweg alle schätzen.

Architekten bestimmen Ihren Kunden- und Kollegenkreis. Woher kommt diese Affinität?

Ich habe viel mit Architekten zusammengearbeitet, schon während des Studiums. Sie prägten auch „Modus“. Nachdem wir die übernommenen Möbel verramscht hatten, saß ich mit Ludwig Leo und Fridtjof Schliephacke auf dem Parkett, und wir diskutierten, wie der Laden heißen soll und was hineinkommt. Leo forderte, dass wir außer Design von Alvar Aalto überhaupt nichts anderes anbieten sollten.

Wovon ein Möbelgeschäft schwerlich existieren kann.

Das stimmt, doch damals wie heute zeigen wir seine Produkte. Die liefen sogar besser als die ersten wieder neu aufgelegten Möbel von Le Corbusier, die wortwörtlich Blei an den Füßen hatten.

War es damals schwierig, modernes Design zu verkaufen?

Ja, obwohl wir eine Ausnahmesituation hatten. Es gab neben uns keinen vergleichbaren Laden in Berlin. Ich behaupte übrigens, dass es den auch heute noch nicht gibt. Aber die Branche hat sich inzwischen sehr verändert.

Wobei Sie zeitgenössische Gestaltung protegierten, indem Sie schon früh Innovationen wie etwa die Ssymmank-Leuchte ausstellten.

Die stand sogar zweimal im Mittelpunkt: zunächst 1964, da war noch Hans Scharoun dabei, und dann erneut im letzten Jahr, zusammen mit den Leuchten von Schliephacke und Braun-Feldweg. Wir zeigen diese Dinge, um ihren heutigen gestalterischen Stellenwert zu würdigen.

Fällt es heute schwerer, gutes Design zu finden?

Es gibt nach wie vor Designer, die hervorragende Produkte machen. Es ist aber beliebiger geworden. Gehe ich heute über eine Möbelmesse, bin ich erschrocken über das Geld, das es kostet, und die Arbeit, die dahinter steckt. In diesem ganzen Wust finde ich freilich manchmal etwas, wo ich denke, da knistert es.

Woran machen Sie Besonderheiten fest?

An dem Potenzial, das in solchen Sachen steckt. Unlängst wurde der Bundespreis für gute Gestaltung an den Chefdesigner von VW, Peter Schreier, verliehen. Wer seine Autos sieht, erkennt das Besondere, ohne passionierter Fahrer zu sein. Oder Riccardo Blumer, den ich demnächst ausstelle. Ihn kennt in Deutschland kein Mensch.

Ich muss ebenfalls passen.

Er hat vor drei oder vier Jahren einen Stuhl bei Alias entwickelt, der noch leichter ist als der „Superleggera“ von Gio Ponti. Das Thema Leichtigkeit hat Blumer sehr eingenommen. Er baute danach Stühle aus Balsaholz, die sich nicht in Serie herstellen lassen, weil die Nachbehandlung zu aufwändig ist. Doch ich finde es wichtig, dem Publikum in Berlin diese Arbeit zu zeigen.

Heißt das, Sie wenden sich vom industriell hergestellten Produkt ab?

Nein. Trotzdem stellte sich mir diese Frage nach einem Besuch bei der dänischen Firma Fritz Hansen, die den berühmten Stuhl 3107 von Arne Jacobsen produziert. Die Fertigung der verschiedenen Holzschichten mit einer Matte dazwischen und der Weg durch die Lackierkammer läuft auf dem Band. Am Schluss aber sitzt ein Mann mit einer Maske und Sandpapier in der Hand und schleift die Kanten einmal ab. Da stimmt doch etwas nicht, dachte ich zunächst.

Sie meinen, ob ein Produkt ausgereift ist, wenn es nicht ausschließlich maschinell hergestellt werden kann?

Ich kann das nicht abschließend beantworten, schließlich ist der Stuhl vollkommen. Spontan finde ich es ganz versöhnlich, dass da noch ein Mensch sitzt mit dem altbekannten Werkzeug.

Und wie haben sich die Kunden in 40 Jahren verändert?

Sie wissen viel mehr über Produkte, aber oft einseitig. Sie können sagen, dass der Sessel etwa von Le Corbusier ist, aber sie erkennen nicht seine Qualitäten. Folglich wählen sie nicht aufgrund bestimmter Kriterien aus, die ja zu definieren wären, sondern weil es en vogue ist.

Worin liegt der Verlust, wenn nur noch der Name ausschlaggebend für den Kauf ist?

Der Prozess der Aneignung entfällt. Gerade in privaten Bereichen begegnen wir zuweilen absurden Vorstellungen. Das typische Beispiel ist ein Ehepaar, das eine Sofalandschaft und eine voll ausgestattete Küche will, obwohl feststeht, dass sie weder so viele Gäste haben noch überhaupt kochen. Die ungebrauchten Möbel gucken einen übel an – ein Sofa will besessen werden, eine Küche bewirtschaftet.

Wegen des Informationsüberflusses sind wir nicht mehr offen für neue Erfahrungen …

Die Menschen nehmen sich nicht mehr die Zeit, sich etwas genau anzuschauen. Man muss aber die Dinge wahr und ernst nehmen, sonst könnte ich sie nicht zeigen. Das gilt beispielsweise für die Produkte von Dieter Rams, die ich von jeher führe. Sein Regal hängt hier seit Jahrzehnten an derselben Wand.

Und wo spüren Sie neue Dinge auf, etwa auf Messen?

Ich kaufe dort selten etwas. Eine Messe dient mir vielmehr dazu, dass ich meinen Kunden hinterher erklären kann, warum wir dieses oder jenes Produkt nicht haben. Diese Gewissheit verschaffe ich mir heute. Die vor 40 Jahren angebotenen Dinge – obwohl viele noch dieselben sind – habe ich intuitiv ausgewählt, das waren emotionale, ästhetische Entscheidungen. Ich habe schnell gemerkt, das reicht nicht, um ein Produkt beharrlich zu vertreten. In dieser Beständigkeit aber liegt der Mehrwert von Modus.