Strauss in the House

Klassik im Club: Die Deutsche Grammophon hat sich im Cookies eingenistet. In der „Yellow Lounge“ kann sich das junge Publikum jeden ersten Montag im Monat auf weichen Polstern an strengere Konzertsaalsitten heranloungen

Es wäre schon eine Studie wert, was einem an den Türen der Berliner Clubs so alles auf die Hand gestempelt wird. Comicfiguren, Firmen-Logos, Registriercodes, Friedenssymbole und Schriftzüge wie „Briefsendung“ oder „Streng vertraulich!“ sollen nicht selten schon am Eingang Eindruck schinden. Besucht man nun am ersten Montag des Monats das Cookies in der Charlottenstraße, bekommt man niemand Geringeren als „Karajan“ aufgedrückt.

Herbert von Karajan gilt vielen Klassik-Liebhabern als der größte Dirigent aller Zeiten, er gehört bis heute zu den Interpreten mit den meisten Platten-Verkäufen und lässt auch noch 14 Jahre nach seinem Tod die Kassen der Deutschen Grammophon (Universal Music) ordentlich klingeln. Doch sterben die großen Melkkühe der Klassik-Labels allmählich aus, der klassische Musiksektor leidet an enormer Überproduktion, und auch Klassik-Fans verfügen inzwischen über CD-Brenner, tauschen Symphonien und Sonaten über das Internet.

Dem wachsenden Absatzproblem begegnen die Plattenfirmen auf unterschiedliche Weise. Viel Geld wird in Exklusiv-Künstler investiert, Crossover-Projekte werden angestrebt, Interpreten zunehmend durchgestylt (wenn das nicht hilft, auch mal durch eine Model-Schönheit auf dem CD-Cover ersetzt), und auch Prominente wurden schon angeheuert, den Verkauf anzukurbeln.

Eine erträglichere Marketing-Variante scheint da die „Yellow Lounge“ zu sein – der Name rührt her von der gelben Traditionskartusche der Deutschen Grammophon. Die Idee: klassische Musik im Club. Dort trifft man gewöhnlich auf ein Publikum, das lieber in Mitte-Boutiquen stöbert als in der Klassikabteilung von Dussmann. Trotzdem wird seit ein paar Monaten im Cookies regelmäßig E- statt U-Musik aufgelegt.

Weiße Kissen werden ausgebreitet, High-End-Lautsprecher montiert, hinter dem DJ-Pult stapeln sich die Klassik-CDs. Gespielt wird querbeet, viel Bekanntes von Bach bis Wagner, Unbekanntes von Pachelbel bis Satie, hin und wieder auch Neutöner wie Glass, Ligeti oder Pärt.

Und die Leute kommen, mittlerweile sogar zahlreich. Die einen begeben sich sofort auf die weichen Polster, die anderen stehen rum und unterhalten sich rege – es hat den Anschein, als wäre klassische Musik bei Bier und Wein für die meisten so alltäglich wie die House-Party am Wochenende. Dass nun eine Plattenfirma dahintersteckt, ist zwar nicht zu übersehen – Universal projiziert hin und wieder Hochglanz-Porträts seiner Exklusiv-Künstler an die Wand und verschenkt am Ausgang gerne Werbe-CDs – doch stören tut das niemanden.

Zumal es interessant wird, wenn ein paar der hauseigenen Künstler live auftreten. Der Cellist Mischa Maisky oder das Emerson String Quartet gaben bereits ihr Lounge-Debüt, am kommenden Montag ist der vielgerühmte Countertenor Andreas Scholl an der Reihe. Als im Mai der chinesische Pianist Yundi Li zu Gast war, kam dieser mit dem ungewohnten Umfeld anfangs überhaupt nicht zurecht. Sichtbar aufgeregt verhaspelte er sich in einer Liszt-Sonate so sehr, dass man Angst um seinen Plattenvertrag haben musste.

Wie im Konzertsaal herrscht bei Live-Auftritten Totenstille, kaum jemand wagt es, an seinem Bier zu nippen, und nach der Darbietung gibt es in jedem Fall tosenden Applaus. Es ist allein die klassische Musik, die hier fasziniert. Wer sie live und auf Tonträger interpretiert, ist nicht wirklich relevant, selbst die Frage nach dem Komponisten scheint nur wenige zu interessieren.

Puristen würden sich wahrscheinlich etwas mehr Differenzierung und Respekt vor den klassischen Werken wünschen und auch mit dem CD-Nebenprodukt „Yellow Lounge – The Classical Mix Album“ nichts anzufangen wissen. Doch sollte das Klassik-im-Club-Konzept Anklang finden und sich auch ohne Plattenfirma im Rücken weiterverbreiten, könnte vielleicht auf diesem Wege die Gerontofizierung der Klassik-Szene gestoppt werden. So lange kann man im Cookies schon mal die strengeren Konzertsaalsitten üben – aufgrund des Auftritts von Countertenor Andreas Scholl herrscht am Montag absolutes Rauchverbot. JAKOB BUHRE

Yellow Lounge, Montag im Cookies ab 21 Uhr. Live: Andreas Scholl, Countertenor. Visuals: Pfadfinderei. Eintritt: 3 €