„Die Russland-Politik der SPD ist eine Enttäuschung“, sagt Ronald Asmus

Warum George Bush und Gerhard Schröder übersehen, dass Putin dabei ist, sich von der Demokratie zu verabschieden

taz: Herr Asmus, warum haben Sie vor zwei Wochen den Brief an westliche Staatschef mit initiiert, der ein Umdenken in der Russland-Politik fordert?

Ronald Asmus: Zunächst will ich betonen, dass der Brief ein echtes amerikanisch-europäisches Projekt ist. Hintergrund für die Initiative bildet die beunruhigende Entwicklung, dass sich Russland erneut zu einem autoritären Staat entwickelt. Viele Außenpolitik-Fachleute haben sich in den vergangenen zwei Jahren immer wieder gefragt, warum niemand im Westen diesen gefährlichen Trend stärker thematisiert, warum wir so zurückhaltend sind. Experten mögen unterschiedliche Vorstellungen über politische Strategien haben, aber die Wahrheit musste endlich auf den Tisch. Wir brauchen eine ehrliche Debatte über Russland.

In den USA gab es dafür eine überparteiliche Unterstützung. Hat Sie das überrascht?

Ja, ich war sehr überrascht über das Spektrum der Leute, die unterzeichnet haben: Demokraten, Republikaner, Neokonservative. Der Brief hat also einen Nerv getroffen. Allmählich dämmert es hierzulande, dass Russland sich auf einem gefährlichen Pfad befindet.

Demokraten und Republikaner haben gleichermaßen haben unterzeichnet. Aber warum schweigt Präsident Bush zum Demokratieabbau in Russland?

Bush braucht Putin zur Rechtfertigung seines Krieges gegen den Terror. Und Putin hat kein Geheimnis daraus gemacht, dass er Bush den Wahlsieg wünscht. Sollte er wieder gewählt werden, muss sich jedoch auch Bush der neuen Realität stellen. Ihm dürfte nicht entgangen sein, dass einflussreiche Parteifreunde mit seiner Russland-Politik äußerst unzufrieden sind.

also wird Bush seinen Kurs doch korrigieren?

Ein Kurswechsel ist schwierig. Unsere Politik im vergangenen Jahrzehnt, Russland auf seinem Weg zu mehr Demokratie zu unterstützen, war geprägt von der Hoffnung, dass sich das Land auch bei zwei Schritten vorwärts und einem, manchmal zwei zurück letzlich zu einer Demokratie mit engen Beziehungen zum Westen entwickelt. Mittlerweile hat sich jedoch in den USA die Einsicht durchgesetzt, dass diese Politik versagt hat.

Was würde Präsident John Kerry anders machen als Bush?

Die Demokraten haben eine viele tiefere Tradition, wenn es um Menschenrechte und Demokratie geht. Man kann diesen Impuls klar sehen anhand der Unterzeichner des Briefes. Wir müssen uns fragen, ob unsere Russland-Politik geleitet wird von Demokratie und Menschenrechten – oder nur von Realpolitik. Auch Kerry will mit Russland bei der Bekämpfung des Terrors zusammenarbeiten. Er will russisches Nuklearmaterial sichern, doch – anders als Bush – dies in 4 und nicht 16 Jahren anpacken. Kerry glaubt jedoch nicht, Kooperation heiße Schweigen. Er hat sein Missfallen gegenüber den aktuellen Entwicklungen in Russland sehr deutlich zum Ausdruck gebracht.

Waren Sie überrascht von der ablehnenden Reaktion der Sozialdemokraten in Deutschland?

Ja – und ich war enttäuscht. Die SPD sollte keinen Zweifel daran lassen, sich für Demokratie und Menschenrechte in Russland stark zu machen. Ihre Kritik kann ich mir nur aus taktischen Beweggründen erklären, um das demonstrativ gute Verhältnis zu Moskau nicht zu gefährden. Der Brief zielte ja nicht auf Bush, Schröder oder Chirac, auch wenn sie alle vor dem gleichen Problem stehen. Wenn Staatschefs sich erst mal zu einer bestimmten Politik bekannt haben, der Boden unter ihrer Politik jedoch wegbricht, ist es schwer für sie, die Richtung zu korrigieren. Wir greifen keine Regierung an für ihre Haltung gegenüber Moskau. Wir fordern lediglich eine offene und realitätsnahe Auseinandersetzung. Und ich hoffe, die SPD sieht den Bedarf für diese Debatte ebenso.

Es ist auffallend, das viele „neue Europäer aus den Ex-Ostblockstaaten den Brief unterstützt haben, während „alte“ Europäer viel zurückhaltender sind.

In gewisser Hinsicht ist es bezeichnend. Aber eine Spaltung zwischen altem und neuem Europa kann ich nicht erkennen. Viele französische Intellektuelle haben enthusiastisch unterzeichnet, ebenso die deutschen Grünen. Dennoch hätte ich mir gewünscht, mehr Unterschriften aus West- und Zentraleuropa zu bekommen. Wir wollten bewusst keine Initiative „Amerika-Neues Europa“ sein, sondern, wie in den USA, eine möglichst breite Koalition erreichen. Es ist aber kein Geheimnis, dass wir weit mehr Unterzeichner aus Osteuropa hätten bekommen können.

Bemerkenswert sind jedoch die neuen transatlantischen Allianzen: Bush und Schröder auf der einen Seite – Neokonservative, Republikaner, Franzosen und Grüne auf der andern.

Die Koalition hat in der Tat einen bizarren Charakter. Andererseits – wenn wir die vergangenen 15 Jahre zurückblicken – kamen unterschiedliche politische Lager immer wieder zusammen. Denken wir an die Interventionen auf dem Balkan, die die Neokonservativen, Clinton und Europäer befürworteten. Auch bei der EU- und Nato-Erweiterung gab es eine überparteiliche, transatlantische Zustimmung. Die Koalition zerfiel mit dem Irak. Vielleicht erweist sich die Russlandfrage als neuer Kitt.

INTERVIEW: MICHAEL STRECK