„Trichet darf keine nationalen Interessen verfolgen“

Preisstabilität ist das EZB-Hauptziel, sagt der Schweizer Ökonom Straubhaar. In Paris sei jedoch noch nicht allen klar, dass stabile Preise wichtig sind

taz: Herr Straubhaar, Sie sind ein Schweizer in Hamburg. Nehmen es Ihnen ihre Landsleute nicht übel, dass sie sich als Präsident eines der großen deutschen Forschungsinstitute um den Euro kümmern?

Thomas Straubhaar: Im Gegenteil. Die Schweizer wissen, wie stark sie vom Euro abhängen. Ein starkes Europa bedeutet auch eine starke Schweiz. Was mancher Schweizer als Alleingang propagiert, ist oft nur Illusion.

Fünf Jahre Europäische Zentralbank, fünf Jahre EZB-Präsident Wim Duisenberg. Eine erfolgreiche Ära?

Sehr erfolgreich. Viel hängt vom Können, von Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit des Präsidenten und seines Direktoriums ab. Der Euro ist heute eine so starke Währung, wie es die Kritiker und nicht einmal wir Optimisten erwartet hätten.

Der Vertrag von Maastricht schreibt der EZB als eigentliche Aufgabe strikte Preisstabilität vor. Dagegen gibt sich die amerikanische Fed in diesem Punkt undogmatisch. Für Fed-Boss Greenspan spielen Konjunktur und Arbeitsplätze eine große Rolle, in der EZB besetzen sie höchstens eine Nebenrolle. Ist das EZB-Ziel Preisstabilität noch zeitgemäß?

Absolut, es ist zeitgemäßer denn je. Die neue wirtschaftswissenschaftliche Literatur weist nach, dass wir mit einem Instrument nur ein Ziel verfolgen sollten. Wer mit einem Instrument gleich auf zwei Ziele schießt, verfehlt beide. Die Geldpolitik sollte sich daher alleine auf die Geldwertstabilität konzentrieren. Beschäftigungsprobleme müssen wir mit Arbeitsmarktpolitik angehen. Kritisieren muss man die Fed, denn die Inflationsrate ist, mit Ausnahme von 2002, in den USA immer höher als im Euroland. Der Satz von Helmut Schmidt, lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit, ist eben falsch. Auf Dauer haben sie dann fünf Prozent Inflation und fünf Prozent Arbeitslosigkeit, denn höhere Preise bestrafen auf mittlere und lange Sicht die Sparer, dämpfen dadurch den Sparwillen und damit das Wachstum und kosten so Arbeitsplätze.

Die Strategie der EZB ruht auf zwei Säulen, der Entwicklung der Preise und der Geldmenge, die im Volk kursiert. Hier stellen sich Zweifel ein. Immerhin wächst die Geldmenge regelmäßig doppelt so schnell, wie von Duisenberg beschworen.

Die EZB hat sich zunächst mit einer Ausrede beholfen: Sie stütze sich für die kürzere Frist stärker auf nur eine Säule, die Preisentwicklung. Offensichtlich pumpen wir viel Geld in den Kreislauf der Wirtschaft, die geldpolitischen Schleusen sind weit offen. Springt nächstes Jahr die Konjunktur an, kann uns ein Inflationsschub drohen.

Die EZB würde dann die Zinsen erhöhen?

Mittelfristig schon. Aber kurzfristig macht sie es richtig, beobachtet und verhält sich ruhig. Die nächste Zinsänderung wird jedenfalls nach oben zeigen. Aber sie sollte nicht zu früh kommen, um den zarten Aufschwung nicht zu gefährden Die Wirkung einer Zinsänderung würde frühestens in einem Jahr wirken.

Dann nimmt die EZB ihr eigenes Zwei-Säulen-Konzept nicht ernst?

Für die kurze Frist haben Sie Recht. Aber solange die EZB ihr Ziel, die Preise stabil zu halten, erreicht, ist dies relativ unproblematisch. Heikel würde es, wenn die Inflation anzieht. Auch zukünftig sollte sich die EZB vor allem auf die Säule „Preise“ stützen. Anderseits, dies ist ein Dilemma: sie kann die Geldmenge direkt steuern, die Preise aber nicht. Insofern ist die EZB-Praxis mit zwei Säulen vernünftig.

Jean-Claude Trichet wird heute Duisenberg als neuen Währungshüter ablösen. Duisenberg sagen manche „päpstliche Auftritte“ nach, Trichet gilt als braver Staatsdiener. Wird er mehr ändern als nur die Umgangsformen?

Ich hoffe nicht und ich erwarte es nicht. Er sollte wie Duisenberg Europa im Blick haben, nicht nationale Interessen. Duisenberg hatte es freilich leichter, da er aus einem kleinen Land kommt. Leider ist der Franzose Trichet nicht von klein auf mit der Stabilitätskultur aufgewachsen, wie sie die Bundesbank predigte. In Frankreich hatte die Geldpolitik immer auch andere Ziele.

Frankreichs Premier Raffarin forderte Trichet in einem Interview auf, gefälligst an Wachstum und Arbeitsplätze zu denken. Im Klartext, die EZB soll ihre Leitzinsen senken, um die Konjunktur anzukurbeln.

Sie wissen, davon halte ich nichts. Frankreich ist immer noch sehr auf den Staat fixiert. In Paris ist bis heute die Erkenntnis nicht vollständig durchgedrungen, dass stabile Preise wichtig sind. Ich hoffe, Trichet kann die französische Haut abstreifen, wie es Duisenberg, der aus der niederländischen Sozialdemokratie kam, gelungen ist.

Aber die USA operieren genau mit diesem Instrument der drastischen Zinssenkung und fahren gut damit! In Euroland sind die Zinssätze doppelt so hoch wie in den USA.

Aber die USA bezahlen dafür! Hohe Inflationsrate, ein großes Leistungsbilanzdefizit und eine hohe Staatsverschuldung …

die bis auf 5 Prozent klettern wird, viel höher als selbst in Deutschland.

Ja. Und irgendwann muss diese Rechnung bezahlt werden. Nun reagiert die US-Wirtschaft besonders schnell auf einen Aufschwung, so mag sie aus dieser Schuldenfalle noch herausschlüpfen, aber Europas Wirtschaft bliebe in der Falle stecken.

Eigentlich sollte Trichet schon vor über einem Jahr EZB-Präsident werden. Ein Prozess wegen des Verdachts auf Bilanzmanipulationen beim Crédit Lyonnais hielt ihn auf. Er kam mit einem blauen Auge davon. Eine Belastung?

Ich hoffe nicht. Seine Vorgeschichte könnte ihn, wie zuvor Duisenberg, sogar zu einer besonders konsequenten Stabilitätskultur führen.

Neben der Wachstumsschwäche macht uns der starke Euro Sorgen, weil er die Exporte teuer macht. Derweil freut sich Greenspan über einen Dumpingkurs des Dollar und steigende Ausfuhren amerikanischer Waren.

Trichet sollte nicht herumdoktern, und Euroland kann mit einem starken Euro leben. Der starke Euro hat einen Januskopf. Zwar werden Exporte teurer, aber die Importeure freuen sich. Da speziell Deutschland zunehmend ein Standort ist, der Güter veredelt, kann man vom starken Euro sogar profitieren. So kauft die Automobilindustrie billiger im Ausland ein, und baut hier den PKW zu Ende. Allerdings beschleunigt dies den Strukturwandel in der Wirtschaft. Für Deutschland kann dieser Wandel dann gefährlich werden, wenn wir die nun ins Rollen gebrachten Strukturreformen jetzt nicht zügig umsetzen.INTERVIEW: HERMANNUS PFEIFFER