Deutschstunde

Zelebriertes Leid: „Klamms Krieg“ bringt das Thema Gewalt in der Schule auf die Bühne, allerdings mit Mitfühl- und Schmunzel-Garantie

Aus dem Kassettenrekorder auf dem Pult dringt klassische Musik. Herr Klamm hat seine abgegriffene Ledertasche abgestellt, setzt sich vor die Tafel und liest, statt mit dem Unterricht zu beginnen. „Viel schöner so, nich?“, fragt er.

Aber aus den Schülerreihen kommt kein Lächeln. Der Deutsch-Leistungskurs hat seinem Lehrer den Krieg erklärt. Kurz zuvor hatte sich Abiturient Sascha erhängt, weil Klamm ihm den fehlenden Punkt zum Bestehen des Abiturs nicht gegeben hatte. Und nun sitzen sie da, schweigen und warten darauf, was ihr langsam verzweifelnder Deutschlehrer noch alles ausprobiert, um sich wieder beliebt zu machen. Dass Klamm über den hilflosen Versuchen, Autorität zu wahren, durchdreht, wird erst viel später klar.

Martin Leßmann, ehemaliger Leiter des Bremer Moks-Theaters gab im Kontorhaus in der Schildstraße einen durchaus überzeugenden, ja bemitleidenswerten Lehrkörper. Zum ersten Mal wurde „Klamms Krieg“ des Hamburger Autors Kai Hensel in Bremen aufgeführt. Ganz neu ist der Klassenzimmer-Monolog aber nicht: Er entstand 1995. „Es sollte ein Porträt meiner alten Deutschlehrerin werden“, erklärt Hensel. „Die wollte mich durchs Abitur fallen lassen – zumindest hatte ich den Eindruck.“

Lange Zeit, so Hensel, habe sich niemand für sein Ein-Mann-Stück interessiert. Doch seit dem Amoklauf von Erfurt finde „Klamms Krieg“ reißenden Absatz, vergangenes Jahr hat es sogar den Deutschen Jugendtheaterpreis bekommen. Die Bremer Inszenierung, bundesweit schon die 30., stammt von Kristo Šagor, bekannt durch Moks-Stücke wie „FSK 16“ und „Fremdeln“.

Sympathisch wirkt er, der Herr Klamm, mit seinen abgewetzten Cordjackenärmeln. Zu Kriegsbeginn agiert er souverän, knallt den Schülern Faust II vor die Nase, trotzt des Widerstands. „Übernächste Woche schreiben Sie Klausur!“, droht er und freut sich über sein Druckmittel. Doch die Schüler pfeifen auf Gretchen, Schillers Freiheitsbegriff und sogar auf die Klausur. Sie schweigen und manchmal ist Reden Silber, Schweigen jedoch der Horror. Klamm geht in die Defensive, will zeigen, dass er kein schlechter Kerl ist. Und Sascha, den Abiturienten, habe er eigentlich richtig gerne gemocht: „Wir haben uns einmal im Bus getroffen und mehrere Stationen lang friedlich unterhalten.“

Unter der zunehmenden Zersetzung der Klamm’schen Nerven leiden auch die Zuschauer, die an U-förmig aufgestellte Schultische gequetscht sind. Trotz der peinlichen Selbstzerstörung, die er zelebriert, trotz der Scham, die am Ende für den winselnden Versager vor der Tafel („Ich gebe Ihnen gute Noten, ja? Mindestens sechs Punkte“) übrig bleibt – „Klamms Krieg“ ist ein Stück zum Schmunzeln, sogar zum herzhaften Lachen.

Das ist größtenteils der Verdienst von Martin Leßmann, der das lehrerspezifische skeptische Augenbrauenhochziehen anscheinend lange geübt hat. Als Herr Klamm letztlich mit allem scheitert, klaut er dem Direktor eine Browning, neun Millimeter, 13 Schuss.

Klamm-Schöpfer Kai Hensel hat die Bremer Premiere verpasst, sein Zug hatte wegen eines Schienen-Selbstmörders Verspätung: „Schon zum zweiten Mal auf dem Weg zu einer Klamm-Premiere ist das jetzt passiert.“

Seltsam. Da möchte man sich doch postwendend per Brief bei alten Lehrern für etwaige Unannehmlichkeiten entschuldigen.

Susanne Polig

Termine im November: 11., 18., 28., 29. und 30., jeweils 20 Uhr. Infos über zusätzliche Schulvorstellungen unter ☎ 0421/365 33 45