Gewaltmonopolist USA

Die Vereinten Nationen haben den Irak verlassen. Das ist richtig so, denn dort waren sie lediglich ein machtloses Feigenblatt für die verfehlte Politik der Besatzungsmächte

„Den USA die Zähne zeigen“ ist nicht die richtige Forderung an die UNO. Denn die hat gar keine Zähne

Noch sind die Amerikaner im Irak. Die Vereinten Nationen dagegen sind schon abgezogen. Hat sich dadurch etwas geändert? Die UN-Präsenz war symbolisch, ihr Abzug auch. Eine Fahne wurde eingeholt. Und das ist auch richtig so. Die Situation ist dadurch ehrlicher geworden. Die UNO-Präsenz erweckte den falschen Eindruck, als stünde die Internationale Gemeinschaft hinter der amerikanischen Besatzung.

Warum hat sich die UNO für die Rolle der Legitimation dieser Besatzung überhaupt hergegeben? Wäre sie wirklich die Institution, die sie der Charta nach zu sein hat, nämlich die Entscheidungszentrale eines globalen Systems kollektiver Sicherheit, so würde sie sich weigern, unerlaubte militärische Ausfälle mit dem Anschein von Legitimität auszustatten. Insofern hatte es eine innere Richtigkeit, dass sie aus dem Irak vertrieben wurde.

Es wird Zeit, dass die UNO den Amerikanern die Zähne zeigt. Zu lange werden in New York Beschlüsse aus Washington hingenommen, die den Kern der UN-Charta aushöhlen. Die große Stunde, in der die Vereinten Nationen ihre Position hätte wahren müssen, war der Out-of-area-Beschluss der Nato 1999. Durch diesen Beschluss wurde das Konzept der kollektiven Sicherheit völlig außer Kraft gesetzt. Mittlerweile hat es die Welt mit amerikanisch-britischen Alleingängen zu tun, die auf die dreisteste Weise gegen das Gewaltverbot der Charta verstoßen.

Zu Unrecht werden die USA als imperialistisch beschimpft. Sie stellen ja gar kein Imperium her. Die USA sind nicht an politischer Hegemonie interessiert, sondern nur an wirtschaftlicher. Sie überlassen die unterworfenen Völker, deren Strukturen sie gerade zerstört haben, politisch sich selbst, und es gelingt ihnen sogar, diese Verantwortungslosigkeit als Ausdruck demokratischer Haltung hinzustellen.

Wenn sich dann in den soeben zerstörten Staaten erwartungsgemäß keine neue Ordnung herstellt, sollte die UNO nicht versuchen, sie im Namen der Weltgesellschaft zu verwalten – und sich mit dem Scheitern dieses Versuchs belasten. Die Vereinten Nationen sind offenbar besorgt, dass sie ganz an den Rand der Weltpolitik gedrängt würden, wenn sie bei den Aktionen der Sole Super Power überhaupt nicht mehr in Erscheinung träten. Die UNO kann aber ihre politische Marginalisierung dadurch nicht vermeiden; sie macht sich im Gegenteil unglaubwürdig als Repräsentantin der Welt.

Nun ist die Schwäche der UNO mittlerweile allbekannt, und ihre Stärkung wird allüberall gefordert. Die PDS zum Beispiel hat jetzt die „Anerkennung des Gewaltmonopols der UNO“ in ihr Programm geschrieben. Zunächst hatten die GenossInnen mit dieser Formulierung Probleme, weil sie meinten, dass die Anerkennung von Gewalt sich nicht mit ihrem Pazifismus vertrüge. Ihnen ist aber offenbar klar geworden, dass ein Gewaltmonopol die Bändigung und Zähmung der Gewalt ist. Man kann ein anderes Wort dafür einsetzen: Polizei.

Die Monopolisierung der Gewalt in der Welt setzt nur den Prozess fort, der in den letzten Jahrhunderten auf der Ebene der Nationalstaaten Frieden gestiftet hat: die Entwaffnung der partikularen Zwischengewalten, die Konzentration aller Waffen unter den Befehl des Staates. Das Welt-Gewaltmonopol ist dasselbe wie die Weltpolizei. Der Polizei-Gedanke aber steht den Grundideen des Pazifismus (im Unterschied zum Anarchismus) keineswegs entgegen.

So weit zum Gewaltmonopol. Wieso aber ist im PDS-Programm von seiner „Anerkennung“ die Rede? In dieser Formulierung wird eine Tatsache übersehen, die keine Kleinigkeit ist: Die UNO hat das Gewaltmonopol gar nicht. Sie verfügt über gar keine Gewalt. Sie hat keine Armeen und ist insofern eine rein moralische Anstalt. Es kann nicht genügen, diese moralische Anstalt mit noch mehr Legitimität – nämlich Anerkennung – zu versehen. Was die UNO braucht, ist nicht die Anerkennung ihrer Gewalt – sie muss mit Gewalt überhaupt erst ausgestattet werden.

Für die Monopolisierung der Gewalt in der Welt würde es keineswegs genügen, die UNO mit einer kleinen Armee auszustatten, die sich in Bananenrepubliken durchsetzen könnten. Sie müsste so groß sein, dass sie auch gegenüber Schurkenstaaten ihren Stand hätte, sie müsste so groß sein, dass sie selbst die Sole Super Power in Schach halten könnte – sie müsste, mit anderen Worten, selbst die Sole Super Power sein.

Das will heute niemand. Jeder weiß, dass dieses Ziel unerreichbar ist. Sollte die Welt in gemeinsamer Anstrengung das militärische Potenzial der US-Armee zur UNO hinüberziehen? Das könnte nur mit Gewalt geschehen. Wenn man den Verteidungshaushalt der Vereinigten Staaten mit dem des Restes der Welt vergleicht, ist klar: Der Gedanke ist absurd, und er wird mit Recht überhaupt nicht erwogen. Die PDS fordert die Anerkennung eines Zustandes, den sie gar nicht hergestellt wissen will.

Die USA sind nicht imperialistisch. Sie wollen nicht politische, sondern wirtschaftliche Hegemonie

Die UNO ist – nach ihrem Abzug aus Bagdad offensichtlich - eine rein moralisch legitimierte Institution. Bestenfalls könnte man ihre Wirkungsmöglichkeiten vergleichen mit der Macht des Papstes im Mittelalter, der ohne eigene Armeen den Kaiser jedenfalls vorübergehend in Bann halten konnte. Näher liegt der Vergleich mit der Deputiertenversammlung, die 1848 in der Paulskirche tagte, um Deutschland zu einem demokratischen Staat zu vereinigen. Sie gründete zwar – in Rankes Worten –, „ihren Beruf auf das Prinzip der Nationalsouveränität“ und hatte insofern „einen allumfassenden Anspruch“, war aber nur „gleichsam eine Akademie der Wissenschaften in Bezug auf die nationalen Anliegen in der Form einer Staatsgewalt, tatsächlich ohne alle Macht“. Die Paulskirche ist daran gescheitert, dass sie den preußischen König und seine Armeen nicht hinter sich bringen konnte. Der Abgeordnete Soiron sagte: „Unsere provisorische Reichsgewalt hatte alles für sich: den populärsten Fürsten, die öffentliche Meinung, die Erschütterung der Throne durch die Revolution, die Nationalversammlung selbst; aber sie hatte keine materielle Macht; darum war und blieb sie ohnmächtig.“ Ähnlich ist die Lage der UNO.

Dieser Vergleich legt die resignative Konsequenz nahe, dass sich das Welt-Gewaltmonopol nur in ähnlicher Weise bilden kann, wie sich die deutsche Einigung im 19. Jahrhundert vollzogen hat: durch die vollständige Konzentration der Gewalt in der Hand derjenigen Macht, die bereits über das größte Militärpotenzial verfügt. Im Falle Deutschland war es Preußen; im Falle Welt werden es, bei dieser Betrachtung, die USA sein.

„Den USA die Zähne zeigen“ ist unter diesem Gesichtspunkt nicht die richtige Forderung an die UNO. Denn die hat gar keine Zähne. Die Welt steht in einem Dilemma, das offener diskutiert werden muss. Zu sehr sind die Debatten noch von dem Glauben an die Kraft demokratischer Diskurse geprägt. Diese Diskurse brauchen eine Gewalt, die ihre Ergebnisse durchsetzt. Noch hat der Geist die Materie nicht besiegt. Wie soll sich das Welt-Gewaltmonopol herstellen, das wir anerkennen wollen – das ist jetzt die Frage. SIBYLLE TÖNNIES