High sein, frei sein

Spannendes Panorama des Deutschen Herbstes: Gerhard Seyfried liest im Schanzenviertel aus seinem Roman „Der schwarze Stern der Tupamaros“

„Jenny schlüpft aus ihrem Ringelhemd, sie hat ihr schwarzes Sternchen um den Hals hängen und an derselben Stelle das kleine silberne A im Kreis, das er ihr mal geschenkt hat. Sie greift nach seiner Hand, und sie lieben sich im hellen Mondschein. Irgendwann morgens kommt ein Nachtwind auf, erst fein, kaum spürbar, dann weht er beständig, und es wird endlich ein wenig kühler. Weit weg in der BRD eskaliert der bewaffnete Kampf.“

Wer es bis auf Seite 269 von Gerhard Seyfrieds neuem Roman Der schwarze Stern der Tupamaros geschafft hat, der wird auch weiterlesen, denn spannend ist es schon, was der 1948 in München geborene Politkarikaturist und Comiczeichner hier entwirft: die fiktive, doch vor den politischen Ereignissen der siebziger Jahre real anmutende Geschichte von Jenny und Fred, die sich nur noch auf dem jugoslawischen Inselchen Cres oder in Ostberlin lieben können, denn Jenny ist untergetaucht: Die „Tupamaros München“, ihre Spaßguerilla-Zelle, die gibt es nicht mehr. Die nächtlichen Fahrten im klapprigen R4, die Verschönerungen Münchens mit Spottversen, die Diskussionen um die Gewaltfrage – das war vor Jahren. In Deutschland explodiert derweil der heiße Herbst.

Seyfried, der Zeichner der Freaks, Kiffer, Spontis hat es als Romanautor etwas schwerer. Witz und Satire finden sich kaum in Der schwarze Stern der Tupamaros, ganz am Rande vielleicht, wenn die LKA-Nervensägen Holzmann und Hausinger dem Protagonisten Fred „Venceremos, gell!“ hinterherrufen. Doch da sitzen die Münchner „Tupamaros“ schon in der Falle. In den Untergrund gedrängt von einem Staat, der wie wild um sich beißt, der Paragraphen nach Gutdünken biegt und nicht mehr unterscheidet, ob die RAF mordet, die „Bewegung 2. Juni“ „eine Bank macht“ oder die Münchner „Tupamaros“ einen Zeitungsständer mit Bild-Zeitungen abfackeln.

Dass die Radikalisierung der Gesellschaft in hohem Maße die Schuld der staatlichen Institutionen ist, das ist die Hauptthese dieses Buchs. Wie aus dem kurzen Sommer der Anarchie der blutige Deutsche Herbst werden konnte, das erzählt Seyfried auf etwas mehr als 300 spannenden Seiten. Das umfangreiche Glossar und die eingeflochtenen Nachrichtenmeldungen weisen den Roman zudem als linkes Geschichtsbuch mit autobiographischen Zwischentönen aus.

Marc Peschke

Lesung: 20.10., 20 Uhr, Buchhandlung im Schanzenviertel, Schulterblatt 55