kopier mich, ich bin dein virus! von TOM WOLF
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Er war grässlich, widerlich: nass und schleimig, dennoch blutig und rau. Er hatte alles, was ein Scheusal seiner Art aufweisen muss, und zählte etwa 200 auf der nach oben hin offenen Tempo-Skala. Ein kapitaler Schnupfen eben.

Freilich wäre solch ein Infektionsmonster, das sich flottierend im Wirtsnasenverband einer geschlossenen menschlichen Kollegengemeinschaft ausbreitet, keiner Erwähnung wert, sondern sollte langsam in den betroffenen Organen verröcheln, wenn nicht, wie in diesem Fall, die besondere Anamnese oder Vorgeschichte der erlebten Massen- Rhinitis der Nachwelt aufgezeichnet zu werden verdiente – zu bleibender Beherzigung und Warnung, anzuschlagen in allen Büros und Werkstätten, in denen ein Kopierer steht.

Frau Flusser, eine nette Dame, die neun von zwölf Monaten in krankheitsbedingter Abwesenheit glänzte, pflegte, wie jedes Jahr, wenigstens an ihrem Geburtstag im Kreise ihrer fortarbeitenden Kollegen zu erscheinen. Die Geburtstage der Archivbediensteten waren nebst den gesetzlichen Feiertagen, den beiden Betriebsausflügen, den unregelmäßig eingeschobenen Grillfesten und der Weihnachtsfeier, das lebens- und arbeitslusterhaltende Moment dieser unverdrossen rödelnden Sozialgemeinschaft. Wochen vorher setzte ein freudiges heimliches Geld- und Vorschlägesammeln ein (für das Geschenk!), dann wurden die beizusteuernden Torten, Kuchen, kalte Platten und geistigen Getränke „aufgeteilt“. Das Geschenk allein machte es aber nicht, stets musste ein originelles Zubehörteil gebastelt werden, mit dem das Geburtstagskind zu Hause dann nie so recht wusste, wo man es lagern könnte oder ob man es vielleicht lieber gleich entsorgen …?

Die Ideen für dieses Mal sahen dürftig aus. Die von allen unterschriebene Theaterkarte (das Geschenk) wirkte – ausprobiert mit Hilfe des erstklassigen Kopiergeräts – irgendwie doof. Schließlich würden wir ja nicht alle mitgehen. Und dann nahm man ihr die Karte vielleicht ab? Aber mit dem Kopiergerät müsste sich etwas anstellen lassen. Dessen waren wir uns sicher.

Ja, und dann hatte einer die vermeintlich rettende, in Wahrheit aber verheerende Idee: Wir kopieren uns alle das Gesicht und schenken ihr das Bündel fotokopierte Kollegenvisagen! Lustig war’s, wie alle nacheinander in Todesmut die Antlitze auf die grün-schwarz schimmernde Glasplatte pressten und den gleißend hellen Scanbalken durch die geschlossenen Augenlider vorbeiziehen sahen. Erst als wir die Granate von Nießer desjenigen vernahmen, der mit seinem schniefenden Rüssel als Erster über den Objekträger gerobbt war, wurde uns nachfolgend Kopierten klar, dass wir einen kapitalen Fehler gemacht hatten!

Das Geburtstagsfest sollte freilich nicht ausfallen, auch wenn der Taschentuchkonsum eklatante Ausmaße annahm und von den Torten und Getränken nicht viel mehr als kühlende Empfindungen in Mund- und Rachenraum ausgelöst wurden.

Ob die unter der Sprinkleranlage kollegialer Tröpfcheninfektion stehende Frau Flusser mit ihrer resultierenden Quartalserkältung ins Theater gelassen wurde, blieb nicht erinnerlich. Sie fehlte jedenfalls eine unziemliche Weile.