Tod in den Wellen

Auf dem Weg nach Europa sterben wieder 35 Marokkaner vor der spanischen Südküste

MADRID taz ■ Die schrecklichen Bilder reißen nicht ab. Seit zehn Tagen wird eine Leiche nach der anderen in der Region rund um die südspanische Hafenstadt Cádiz angeschwemmt. 35 zählte die spanische Polizei Guardia Civil gestern. Die Toten stammen aus Marokko und sind am 25. Oktober mit einem Schlauchboot auf der Meerenge von Gibraltar untergegangen. Nur fünf der Insassen erreichten ihr Ziel, das „goldene Europa“. Sie wurden bereits wieder abgeschoben. Der Schleuser, der das Boot steuerte, konnte sich ebenfalls an Land retten, wo er verhaftet wurde. Nach Auskunft der Überlebenden reisten in dem Schlauchboot um die 50 Personen. Deshalb rechnet die Guardia Civil mit mindestens zehn weiteren Toten.

„Das Unglück ist das schlimmste seit den 80er-Jahren“, erklärt der Bürgerbeauftragte im südspanischen Andalusien, José Chamizo. In diesem Jahr wurden laut Innenministerium insgesamt 90 Leichen angeschwemmt. Wie hoch die Zahl derer ist, die in Marokko gefunden werden oder die für immer in den Fluten verschwinden, weiß keiner zu sagen.

Anwalt Abdallah Zaidi, Sprecher der marokkanischen Vereinigung Deux Rives, schätzt, dass jährlich rund 700 Menschen ihr Leben in der Meerenge von Gibraltar verlieren. Hinzu kommen diejenigen, die auf der Überfahrt von Südmarokko auf die Kanarischen Inseln ertrinken. Die Armut in Marokko lässt die Zahl der Flüchtlinge dennoch nicht abreißen. 200.000 Menschen verlassen Jahr für Jahr das Land Richtung Europa.

„Heute schaffen nur noch wenige den Weg über die Meerenge von Gibraltar nach Spanien“, ist sich ein Sprecher des Innenministeriums sicher. Das neue, mit EU-Geldern bezahlte Überwachungssystem in Südspanien ermöglicht es, die Boote bereits auszumachen, wenn sie in Marokko ablegen. Zwischen 16.000 und 18.000 Einwanderer werden jährlich an der spanischen Küste verhaftet. Die Hälfte sind Marokkaner und werden sofort wieder abgeschoben. Der Rest kommt meist aus Schwarzafrika. Da Marokko das Rücknahmeabkommen von 1992 bis heute nicht erfüllt und viele der Herkunftsländer sich weigern, mit Madrid entsprechende Verträge zu schließen, werden sie mit einer Aufforderung, das Land zu verlassen, entlassen. Sie versuchen sich dann als „Papierlose“ in den Großstädten durchs Leben zu schlagen. REINER WANDLER