berliner szenen Quantenmechanik

Ohne davor und danach

Kausale Beziehungen betrafen uns nicht mehr. Wer immer etwas tat und wann, es spielte keine Rolle. Erster oder Zweiter zu sein, hatte aufgehört, eine schmerzhafte Erfahrung zu sein. Mit dem Abebben der Folgerichtigkeit kam die Eleganz in unser Leben zurück. Die Zeit war derart entrollt, dass alles auf gleicher Höhe stattfand, und der Ehrgeiz hatte ein Ende. Darüber hing die vermengte Tonspur des Urbanen wie ein schlecht abgelegtes Tau.

Das Geräusch sich öffnender Türen, automatisch und manuell, verzweigte sich entlang einer Zeitachse, die kein Davor und kein Danach mehr kannte, sondern nur noch das Ornament. Schritte und das Echo von Schritten trieben entkoppelt durch die Stadt. So war das Hacken meiner Absätze auf dem Flur noch zu einem Zeitpunkt zu hören, als ich schon längst unbeweglich am Tisch saß, und gab den Reiz wieder, der das Gehen ist, wenn man nicht mehr geht. Worin das Geräusch eines wegfahrenden Wagens sich mischte.

Dabei waren die Gäste doch noch auf der Treppe, und hatten sie überhaupt etwas gegessen? Haben sie etwas gesagt? Die kalte Platte stand unberührt auf dem Couchtisch, der Kühlschrank war voller Vorräte – er brummte nicht. Oder wir konnten sein Brummen jetzt noch nicht hören. Erst als das Auto die Kreuzung überquerte und bereits außer Sichtweite war, ließ uns das Geräusch von zuschlagenden Türen aufhorchen. „Alles ist durcheinander“ sagten wir und hörten diese Feststellung Wochen später, als wir in einem Kleinbus unterwegs nach Skandinavien waren. Es handelte sich offenbar um lose Schleifen, in denen manche Geräusche sich länger hielten als andere. Das nennt man Quantenmechanik, sagtest du, während du lautlos die Tür ins Schloss fallen ließt. MONIKA RINCK