Der Leiter hat das letzte Wort

Jazz ist nicht tot, aber leidet schwer unter falscher Etikettierung. Ein Streitgespräch mit Peter Schulze, dem diesjährigen Leiter des JazzFestes Berlin, über „europäischen Jazz“ und fremde Lorbeeren

von MAXI SICKERT

taz: Herr Schulze, nach 31 Jahren bei Radio Bremen und damit bei der ARD verantworten Sie seit diesem Jahr als künstlerischer Leiter das Programm des Berliner JazzFests. Sehen Sie sich jetzt dort, wo Sie eigentlich schon immer hinwollten?

Peter Schulze: Nein. Das war nie mein Ziel, denn ich habe die Radioarbeit immer gern gemacht. Aber die Möglichkeiten sind in den Radiostationen mittlerweile sehr eingeschränkt. Und dann ist so eine Festivalarbeit – und ich habe ja viele Festivals gemacht – eine Fortsetzung dessen, wie ich Radioarbeit verstanden habe, nämlich der Vielfalt der Musik Raum zu geben.

Auf der Homepage vom JazzFest behaupten Sie, Jazz sei nicht tot, sondern nur nach Europa gezogen …

Das ist kein Satz von mir, aber er hätte von mir sein können. Es ist ein Zitat vom Europe Jazz Network und Teil eines Textes, den ich zum Fest geschrieben habe und der sich vielmehr darauf bezieht, dass die amerikanische Dominanz, die es ja über Jahrzehnte in Europa gegeben hat, nicht mehr da ist, und dass der musikalische Schmelztiegel gegenwärtig eher hier ist. Ob man das Ergebnis dann noch Jazz nennt, ist zweitrangig.

Sie sehen also den Jazz in Europa angekommen. Und das, obwohl sich die Hauptprotagonisten des „europäischen Jazz“, der französische Klarinettist Louis Sclavis und der polnische Trompeter Tomas Stanko, die beide auf Ihrem Festival auftreten, schon längst von diesen Eingrenzungen verabschiedet haben.

Stanko und Sclavis sind damit auch weniger gemeint, das sind ja schon fast Ikonen in dieser Beziehung. Viele Jüngere haben aber, wie etwa DuOud, für ihre Improvisationen einen ganz anderen Bezugsrahmen. Die haben sich von ganz anderen Eingrenzungen befreit, nämlich – in diesem Fall – von ihrer tradierten arabischen Musik. Das Ergebnis kann man durchaus aufgrund der Improvisation als europäischen Jazz bezeichnen, bzw. auf einem Jazzfestival präsentieren.

Jetzt zählen Sie also schon eine arabische Band zum „europäischen Jazz.“ Ich denke, Sie ziehen sich Ihre Begriffe sehr zurecht. So wahrscheinlich auch, als Sie auf der Pressekonferenz zum JazzFest ankündigten, neue Erzählweisen vorstellen zu wollen. Dabei erwähnten Sie vor allem die „Folklore Imaginaire“ und den Erfinder des Daxofons, Hans Reichel. Beides ist in Berlin schon oft präsentiert worden. Ihr Kollege Gunther Huesmann hatte schon 1991 versucht, mit „Jazz Across The Border“ in Berlin ein Festival für europäischen und grenzüberschreitenden Jazz zu etablieren. Damals hieß es im Untertitel „Folklore Imaginaire“. Hans Reichel, der beim JazzFest auftritt, kommt von dem Berliner Label für experimentelle Musik FMP. Wie neu sind also diese Erzählweisen wirklich?

Der Begriff „Folklore Imaginaire“ ist auch schon älter als 1991. Er tauchte erstmals auf im Zusammenhang mit der 1982 gegründeten Arfi, die das JazzFest dieses Jahr eröffnet. Von neuen Erzählweisen sprach ich im Zusammenhang damit, dass man keine neue Sprache erfinden muss, sondern neue Erzählweisen. Eine neue Sprache versteht nämlich erst mal keiner, neue Erzählweisen schon.

In diesem Jahr wurden dem TMM, dem Total Music Meeting, das als Gegenfestival zum JazzFest konzipiert worden ist, sämtliche Fördermittel gestrichen. Der Musiker und ehemals künstlerische Leiter des JazzFests, Albert Mangelsdorff, schrieb daraufhin einen Protestbrief. Haben Sie auch einen Brief geschrieben?

Nein, ich habe keinen Brief geschrieben. Ich will mich zum Total Music Meeting nicht äußern.

Aber Sie setzten sich mit Ihrer Position nicht nur nicht für den Erhalt des TMM ein, Sie schmücken sich auch hier mit fremden Lorbeeren und übernehmen zum Teil die Musiker.

Aber das sind doch keine Leibeigenen der FMP. Hat die FMP etwa Hans Reichel gekauft?

Sie waren jahrelang Mitglied des ARD-Gremiums, das den künstlerischen Leiter des JazzFests beraten hat. Immerhin gibt die ARD ja Geld gegen Senderechte und finanziert damit das JazzFest maßgeblich – vor allem nach dem zunehmenden Wegfall von Sponsoren. War diese „Beratung“ nicht eher eine massive Einmischung?

Der künstlerische Leiter hat das letzte Wort, was das Programm angeht. Es gibt keinen Druck, und es gab keinen Druck.

Sie stehen jedoch in dem Ruf, damals massiv Druck ausgeübt zu haben. Etwa auf den früheren Festivalleiter Albert Mangelsdorff, der auf Ihre Initiative hin den JazzFest-Gründer Joachim-Ernst Berendt, der zum 35-jährigen Festivalbestehen als Ehrengast kommen sollte, wieder ausladen musste.

Und dennoch war das eine Entscheidung des künstlerischen Leiters. Ich war dagegen, dass Joachim-Ernst Berendt einen Vortrag hält, weil die Thematik, die er damals angeboten hat, schon etwas abgegessen war.

Das JazzFest ist Teil der Berliner Festspiele. Deren Intendant, Joachim Sartorius, plante bei seinem Amtsantritt vor drei Jahren jährlich wechselnde Leiter des JazzFestes …

Für eine Übergangszeit. Er war damals einen Monat Intendant, als er den ersten künstlerischen Leiter benennen musste. Das ist doch klar, dass man sich da nicht auf Jahre festlegen will.

Das Konzept der jährlich wechselnden Leitung hat also Ihrer Meinung nach nichts damit zu tun, dass Sartorius das JazzFest insgesamt erneuern und verjüngen wollte?

Das müssen Sie ihn fragen. Ich denke, man lernt immer aus dem ersten Festival am meisten. Wenn Sie jährlich wechselnde Leiter haben, kann keine Entwicklung stattfinden.