Operation Falludscha

Die Situation im Irak ist verfahren, aber nicht aussichtslos. Die bisherige Erfahrung zeigt, dass Verhandlungen mit den Aufständischen mehr nutzen als deren Bekämpfung

Die US-Truppen tragen Verantwortung – die Forderung nach raschem Abzug greift daher zu kurz

Luftangriffe und Autobomben, Selbstmordattentate und Enthauptungen von Geiseln: Der Irak hat sich zum Inbegriff des Schreckens entwickelt, eine Lösung scheint nicht in Sicht. Die Weltöffentlichkeit sieht ratlos zu, und die irakische Bevölkerung begräbt ihre Toten. Wer die Augen jedoch nur starr auf den alltäglichen Schrecken richtet, der übersieht leicht, dass dieser Blick ein sehr verengter ist. Denn was man im Ausland über die Geschehnisse im Irak weiß, stammt aus den Medien. Deren Berichterstattung aber konzentriert sich fast ausschließlich auf Negativschlagzeilen und vermittelt insofern ein verzerrtes Bild.

Der Eindruck der Ausweglosigkeit wird noch dadurch verstärkt, dass ausländische Journalisten im Irak einer besonderen Bedrohung ausgesetzt sind – das beeinflusst ihre Wahrnehmung, und damit ihre Berichterstattung. Doch jenseits von Autobomben und Entführungen gibt es auch im Leben des durchschnittlichen Irakers einen Alltag und eine Normalität. In großen Teilen des Südens und fast dem gesamten Norden schweigen die Waffen. Der aktuelle Aufstand konzentriert sich vor allem auf das sunnitische Dreieck nördlich von Bagdad sowie auf die Hauptstadt selbst.

Die Auseinandersetzungen um Nadschaf, das der eifernde schiitische Prediger Muktada al-Sadr in seine Hand zu bekommen versuchte, sind beendet. Auch in Sadr City, al-Sadrs Hochburg in Bagdad, haben die schiitischen Milizen ihre schweren Waffen nun zumindest teilweise abgegeben. Selbst in den Städten des sunnitischen Dreiecks, also insbesondere in Falludscha, Ramadi und Samarra, sind immer wieder Waffenruhen ausgehandelt worden.

Interessant ist dabei die Frage, wodurch die bewaffneten Auseinandersetzungen beendet wurden – und wieso, wie jetzt in Falludscha, doch wieder bombardiert wird. In Nadschaf ist es dem gemäßigten Schiitenkleriker Ali al-Sistani gelungen, den jungen Muktada al-Sadr, der sich zum Wortführer der radikalen Schiiten aufgeschwungen hatte, zum Rückzug zu bewegen. Al-Sistani hat das sicherlich nicht aus Sympathie mit den westlichen Besatzern getan, sondern aus Sorge, er könne seine bis dahin unangefochtene Führungsrolle unter den Schiiten an den jungen Prediger al-Sadr verlieren. Außerdem hat er durch seinen Verhandlungserfolg seine politische Bedeutung gestärkt. Dass Muktada al-Sadr sich sowohl in Nadschaf wie auch in Sadr City auf den Rückzug eingelassen hat, ist wohl weniger auf eine plötzliche innere Einkehr zurückzuführen als vielmehr auf die Überlegung, dass auch er sich auf diese Weise politisch Einfluss sichern konnte.

In Falludscha hatten Verhandlungen zwischen Stammes- und religiösen Führern zu einem zumindest zeitweisen Gleichgewicht geführt, in dem offenbar moderate Islamisten über radikale Gesinnungsgenossen die Oberhand behalten haben. Diese Islamisten haben angedeutet, sich an den Parlamentswahlen im kommenden Januar beteiligen zu wollen.

Die Lehren aus diesen Entwicklungen heißen: Verhandlungen haben bislang auch in scheinbar verfahrenen Situationen gefruchtet. Und: Auch Anführer bewaffneter Gruppen sind verhandlungsbereit, um sich politischen Einfluss zu sichern – zumindest dann, wenn ein militärischer Sieg ausgeschlossen erscheint.

Ein militärischer Sieg des „Widerstands“ muss aber auf alle Fälle verhindert werden. Denn nicht nur innerhalb einzelner Städte im Irak haben sich die Machtverhältnisse nach dem Sturz von Saddam Hussein geändert. Auf nationaler Ebene ist ein hochgefährliches Machtvakuum entstanden. Die unterschiedlichen Widerstandsorganisationen im Irak eint derzeit nur eines: der Wille, die Koalitionstruppen aus dem Land zu vertreiben. Wenn das aber gelingen sollte, dann würde im Irak dasselbe geschehen wie in Afghanistan nach dem Rückzug der Sowjets 1989: Das Land würde in mehrere Teile zerfallen, das allgemeine Abschlachten der Iraker untereinander beginnen und der Irak sich mehr noch als bisher schon zum Tummelplatz islamistischer Hitzköpfe entwickeln. Diese Entwicklung kann niemand wollen.

Um das zu verhindern, muss im Irak schnell das Primat der Politik hergestellt werden. Solange im Irak die US-Amerikaner allein das Sagen hatten, bestand ihre Politik hauptsächlich aus Brachialgewalt, die den Hass in der Bevölkerung entsprechend vermehrte. Verhandlungen sind hingegen das Terrain, auf dem nun die irakische Übergangsregierung ihre Fähigkeiten und ihre Autonomie zeigen und bei der Bevölkerung an Ansehen gewinnen kann.

Eine andere Strategie gibt es ohnehin nicht. Denn nur dadurch, dass möglichst viele politische Gruppierungen eingebunden werden, kann der Zerfall des Landes verhindert und die Voraussetzung zur Einführung eines demokratischen Systems geschaffen werden.

Auch die Wahlen, die für den kommenden Januar anberaumt sind, stellen einen notwendigen Schritt dar, um der irakischen Regierung zu größerer Legitimität zu verhelfen. Die zahlreichen Gruppierungen, die bereits über Milizen verfügen und über manche Städte die Kontrolle ausüben, werden sich nicht freiwillig auf demokratische Spielregeln verpflichten lassen. Darum werden Zwangsmaßnahmen nötig sein, um diese Gruppen überhaupt an den Verhandlungstisch zu bringen.

Doch wer soll diese Zwangsmaßnahmen veranlassen? Diese Aufgabe käme eigentlich den irakischen Sicherheitskräften zu. Da die „Koalition der Willigen“ aber alle bewaffneten Kräfte des alten Irak aufgelöst hat und neue Kräfte erst nach und nach aufgebaut werden, können sie diese Aufgabe derzeit noch nicht erfüllen, jedenfalls nicht allein.

Ein militärischer Sieg des vereinigten irakischen „Widerstands“ muss auf alle Fälle verhindert werden

Eine Alternative, die immer wieder aufflammenden Aufstände zu bekämpfen, wäre eine durchsetzungsfähige Truppe unter UN-Mandat. Doch diese Idee erscheint zum jetzigen Zeitpunkt ebenso illusionär wie die Idee, dass andere Truppen, etwa unter Nato- oder EU-Mandat, im Irak eingreifen – weltweit sehen die Regierungen keinen Anlass, die Suppe im Irak auszulöffeln, die sich die USA dort eingebrockt haben.

So werden also vorerst die Truppen jener Länder im Irak bleiben müssen, die den Krieg begonnen haben. Forderungen nach einem sofortigem Truppenrückzug dieser Länder greifen deshalb zu kurz. Denn auch wenn der Angriff auf den Irak völkerrechtswidrig war: Jetzt tragen die Invasoren eine Verantwortung für das Land, aus der sie sich nicht einfach durch einen Truppenrückzug stehlen dürfen.

Anders als bisher muss die irakische Regierung aber stärker die Initiative übernehmen, müssen die ausländischen Truppen lediglich das ausführende Organ sein. Nur durch Verhandlungen und durch Einbindung lässt sich die Front des Widerstands auflösen. Anders als bisher muss ein stärkeres Gewicht auf Verhandlungen liegen. Nur dort, wo es keine Verhandlungsbereitschaft gibt, sollte die Repression einsetzen. ANTJE BAUER