Braune Anträge für eine ganz neue Welt

Die Software für die Bearbeitung der Hartz IV-Anträge ist freigeschaltet: Hamburgs Arbeitsagentur-Chef Rolf Steil ist froh, dass das System bisher nicht abgestürzt ist, hält aber mit Problemen nicht hinterm Berg. Rücklaufquote der Anträge bei 82 Prozent

Von Markus Jox

Maren Porthun ist 24 Jahre alt und arbeitet in der Eimsbütteler Filiale der Hamburger Agentur für Arbeit. Seit Montag ist die junge Frau dazu eingeteilt, Anträge auf das neue Arbeitslosengeld II (ALG II) zu bearbeiten – im Amtsjargon werden sie „braune Anträge“ genannt, da sie zwischen Aktendeckeln dieser Farbe liegen. Täglich von 6.30 Uhr bis 16 oder 17 Uhr macht Porthun den Job – zehn bis 15 Minuten brauche sie bei einem kinderlosen Single, erzählt sie, bei komplizierteren Bedarfsgemeinschaften auch mal eine Stunde.

Gestern Vormittag wurde Frau Porthun jäh unterbrochen: Journalisten fielen ein, lichteten sie ab und fragten nach Tücken der Software. Selbst Porthuns oberster Boss, Hamburgs Arbeitsagentur-Chef Rolf Steil, ließ sich lächelnd neben der Mitarbeiterin filmen. Alles sei genau so, erzählt diese, wie man es ihr während einer Schulung beigebracht habe. Sie übertrage die Daten von den Fragebögen via Tastatur in die Software-Maske, „dann mach‘ ich ‚klick‘ – und dann rechnet er“, sagt Porthun. „Er macht auch immer wieder Plausibilitätsprüfungen.“ Steil verweist darauf, dass seine Leute an „unintelligenten Terminals“ arbeiteten: „Unsere Bildschirme hängen am Zentralrechner dran, der in Nürnberg steht.“

Wie lange sie denn geschult worden sei, wird Porthun gefragt. „1,5 bis zwei Tage“ antwortet sie und schaut vorsichtig zu ihrer Chefin, der Eimsbütteler Agentur-Leiterin Astrid Lang, die selbstredend mit im Raum ist und eilfertig darauf hinweist, dass ihre Mitarbeiter auch nach der Schulung noch viel Zeit mit dem Üben verbracht hätten.

Die Visite in dem Sachbearbeiter-Kämmerchen gehört zu einer Informationsoffensive der Arbeitsagentur: An 207 Computerterminals in der Stadt machten sich 370 Mitarbeiter daran, „alle relevanten Daten“ von etwa 45.000 Anträgen „in die Software einzupflegen“, so ist zu erfahren. Und: Etwa 82 Prozent der ALG II-Anträge habe die Agentur bisher ausgefüllt zurückerhalten.

Freigeschaltet worden sei die Software mit dem kruden Kürzel A2LL – das steht für „Arbeitslosengeld 2 – Leistungen zum Lebensunterhalt“ am Montagmorgen „um zehn Minuten nach sechs Uhr“, berichtet Agentur-Chef Steil akribisch. Den Vormittag habe man damit zugebracht, „alle Kennungen, PINs und Identifikationsnummern“ der Sachbearbeiter einzugeben. Immerhin sei das ja „eine ganz neue Welt, in die wir jetzt reinstarten“.

Vorderhand ist Steil bislang zufrieden: „Wir hatten keinen Absturz, die Software ist stabil.“ Allerdings gebe es „eine Menge einzelner Probleme“, räumte er ein. Den Grund dafür kleidet er in adrettes Bürokratendeutsch: „Die Lebensvielfalt ist breiter als die Wirklichkeit einer Software.“ Weil die Menschen „in allen Varianten“ lebten, die eine offene Gesellschaft zulasse, habe man das Problem, „dass bestimmte Lebenssituationen als Fallkonstellation noch nicht so in der Software abgebildet werden, dass wir sie schon heute eingeben können“. Die Software werde deshalb zum 1. Februar nachgebessert.

Problematisch auch: Auf den allerletzten Drücker teilte die Stadt Hamburg der Arbeitsagentur mit, dass das Wassergeld – anders als bisher vorgesehen – doch nicht im ALG II-Regelsatz enthalten sei, sondern – wie Nettokaltmiete und Heizkosten – zu den „Kosten des Unterhalts“ addiert werden sollen. Konsequenz für die verdatterten Arbeitsagentur-Mitarbeiter: „Jetzt müssen wir die Menschen im Zweifelsfall anrufen und sie ein zweites Mal nach ihrer Wassergeldabrechnung fragen.“