Scheiden ist sehr schwer

Rund 50 zwangsverheiratete Frauen suchen jährlich Hilfe bei der Beratungsstelle der Bremer Arbeiterwohlfahrt. Der psychische Druck auf die Frauen, bei ihrem ungeliebten Mann zu bleiben, ist groß. Manche müssen untertauchen. Gesetz geplant

Bremen taz ■ Das Mädchen hat sich auf die Ferien gefreut. Mit ihrer Familie ist sie in die Türkei gereist und alle waren sehr nett zu ihr. Ihre Eltern, ihre Onkel und ihre Tanten haben ihr Geschenke gemacht und ihr gesagt, dass es ein sehr schönes Leben wird – wenn sie diesen Mann heiratet, den die Eltern für sie ausgesucht haben. Also hat das Mädchen nachgegeben und sich trauen lassen und kehrt als verheiratete Frau mit Ehemann nach Deutschland zurück – im Alter von 14 Jahren.

Cevahir Cansever kann viele solcher Geschichten erzählen. Cansever arbeitet in der Beratungsstelle für MigrantInnen der Arbeiterwohlfahrt in Bremen und betreut Frauen, die zwangsverheiratet wurden. An die 50 rufen im Jahr bei ihr an und fragen um Rat. Wieviele Frauen insgesamt in Bremen zwangsweise mit einem Mann zusammenleben, den sie kaum kennen und nicht lieben, ist unklar – offizielle Zahlen gibt es keine. „Fast jeder zweite Berufsschullehrer sagt mir: Ich habe da ein Mädchen in meiner Klasse, die hat Angst, dass sie heiraten muss“, berichtet Cansever.

Dabei sind es nicht nur Frauen aus muslimischen Familien, die zur Ehe genötigt werden, sondern auch Familien mit christlichem Hintergrund, aus Griechenland, aus Süditalien, aus dem Libanon. „Zwangsheiraten hängen nicht von Religion ab, sondern von Tradition“, sagt Cansever. Es sei ein Problem von Männergesellschaften.

Oft gehe es den Familien darum, die Ehre ihrer Tochter zu bewahren: Hochzeit, bevor es zum Flirt kommt.

Aber es gibt auch andere Fälle. Der künftige Ehemann benötigt eine Aufenthaltserlaubnis. Oder es geht um Geld. So wie bei einer 20-Jährigen, die Cansever momentan betreut – telefonisch, denn die Frau ist untergetaucht. Ihre Eltern haben sie für 50.000 Euro an einen Mann verkauft, der aus dem Libanon stammt. Kurz vor der Trauung ist sie geflohen, seit fünf Monaten versteckt sie sich, bald wird sie Norddeutschland verlassen.

Wenn die Frauen erst einmal verheiratet seien, herrsche meist Sprachlosigkeit, sagt Cansever. Sprachlosigkeit gegenüber dem Ehemann, mit dem die Frauen nicht über die Situation zu sprechen wagten. Sexuelle Probleme seien an der Tagesordnung, auch Vergewaltigungen kämen vor. Sprachlosigkeit auch gegenüber der Außenwelt, vor der sich die Frauen schämten. In der Beratung geht es Cansever vor allem darum, die Frauen zu Gesprächen mit Mann und Familie zu ermutigen. Oft kann auch Cansever den Mann von einer Scheidung überzeugen.

Es geht also nicht immer gleich um Messer und um Ehrenmorde, wie es Klischees über verlassene Ehemänner mit Migrationshintergrund wollen. In Fällen, wo Familienmitglieder die junge Frau bedrohen, ist allerdings auch Cansever als Sozialpädagogin mit ihren Mitteln am Ende und muss die Polizei einschalten.

Momentan gibt es auf Bundesebene sowohl von SPD und Grünen als auch vom CDU/FDP-regierten Baden-Württemberg Gesetzesinitiativen, die Zwangsverheiratung stärker zu bestrafen, geplante Höchststrafe: fünf Jahre Gefängnis.

Cansever begrüßt solche Initiativen, gibt allerdings zu bedenken, dass es nicht leicht sei, Zwangsehen nachzuweisen. Es gebe einen Graubereich zwischen arrangierten Ehen und einer Zwangsheirat. Wichtiger als Strafe sei Prävention – und das heißt: für das Thema sensibilisieren. Dorothea Siegle

Diskussion am 27. 10., 18 Uhr im Kultursaal der Arbeitnehmerkammer