der ausgebildete kranke von MICHAEL RUDOLF
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Ich leide an einer Krankheit, die es gar nicht gibt. Begonnen hatte es damit, dass die täglich erträgliche Alkoholdosis immer piepsliger wurde. War es im Sommer noch ein Glas Weißwein, welches ich, ohne auf der Stelle zu sterben, trinken konnte, brachte im September bereits ein keckes Bierschaumabküssen von den Lippen der Liebsten Körper und Geist gefährlich weit auseinander. Das teilt sich über die Symptome eines ausgewachsenen Katers mit, ergänzt um die grandiose Bonuseigenschaft, eine ganze Woche vorzuhalten.

Mit einem Schluck feinsten Qualitätspilseners, den ich allerdings sofort ins Spülbecken spedierte, begann eine neue Zeitrechnung. Denn es ist drei Wochen her. Das mag im Vergleich zum gemeinen Weltenlauf eine verschwindend geringe Zeitspanne sein. Durchlebt man sie als migräneähnliche Seinsverkrümmung, will sie einem partout nicht vergehen. Ehrenwort.

Die Bemühungen um Ablenkungsschmerz sind wenig unterhaltsam: arhythmisches Kopfgegendiewandwummern oder dummes Andiedeckestarren. Die leichtsinnige Anwendung eines Migräne-Präparates, dessen Kaufpreis gereicht hätte, eine südamerikanische Guerillaarmee mit schwerer Bewaffnung auszurüsten, ließ die Zweckmäßigkeit meines Weiterlebens lange in der Schwebe, um vorübergehend sogar mit einem negativen Bescheid zu schließen. Mit einem volkstümlichen Kopfschmerzmittel konnten ähnliche Ergebnisse erzielt werden.

Irgendwann wollte ich mich der kritischen Öffentlichkeit trotzdem mitteilen. Dr. Schäfer erkannte auf „Psycherl“, Dr. Wieland riet zur bewährten Telefon- und Maildiagnose seines Freundes Dr. Laaß. Dr. Klink empfahl das Studium höherer Alkohole, die ja wohl nicht umsonst so hießen. Dr. Sailer berichtete von eigenen Erlebnissen, die noch unwahrscheinlicher klangen. Dr. Tomayer weinte aus Solidarität eine Stunde mit. Der Kuraufenthalt am Institut von Dr. Tetzlaff und Gattin brachte kaum Linderung. Ein eigens als Buchmesse getarnter Ärztekongress in Frankfurt am Main war noch trauriger: Dr. Henschel teilte nur mit, er wolle Dr. Egner davon Mitteilung machen, und Dr. Ringel kündigte einen Hausbesuch an. Die per Telefon bei Frau Dr. Groß abgegebenen Symptomschilderungen stießen bei der „rein zufällig“ anwesenden Ärzteschaft auf schroffe Ablehnung. Bald war ich bereit, über Frau Dr. Goettle Kontakt zu einem Psychofritzen aufzunehmen.

Ist diese obskure Alkoholunverträglichkeit überhaupt eine Krankheit, fragte ich mich, während ich Milliarden Seiten medizinischer Fachliteratur auswendig lernte, von heftigen Heulkrämpfen jäh unterbrochen. Ich wäre nun ausgebildet genug, um es mit jedem Arzt aufnehmen zu können. Nur wozu? Die stecken doch alle unter einer Decke. Mit meinen Blutproben wird schwunghaft internationaler Handel getrieben, während mich meine Unterarme in die Nähe heroinabhängiger Mitbürger rücken.

Das Umsatzplus der örtlichen Apotheken ist jetzt schon dreistellig. Und mein Dauerdurchfall bringt die eindeutig zu riesig dimensionierte städtische Kläranlage endlich aus den roten Zahlen. Ein Ende meiner Beschwerden ist also kaum in Sicht.

Wetten?