Kuhhörner am Bullenmarkt

Biodynamische Landwirtschaft und Aktien sind kein Widerspruch: Eine badische Bürger-AG setzt auf soziale und ökologische Rendite. Die Menschen in der Region entscheiden mit, was auf den Teller kommt, aber auch, wie produziert wird

VON GISELA EBERHARDT

Vorbei die Zeit, in der anspruchsvolle Verbraucher weite Wege zurücklegen mussten bis zum nächsten Bioladen. Vorbei aber auch die Zeit, als hinter der Theke ein idealistisch gesinnter Besitzer selbst das Vollkornbrot einpackte. Heute führt fast jeder Supermarkt ungespritzte Paprika und Eier von glücklichen Hühnern. Zahlreiche Biosupermärkte bieten darüber hinaus jedes denkbare Nahrungsmittel aus ökologischer Landwirtschaft an. Nur echte Idealisten, die findet man hier kaum noch.

Genau dieses Wirtschaften stört Christian Hiß. Der Gärtnermeister baut im badischen Eichstetten Demeter-Gemüse auf einem Hof an, der bereits in der zweiten Generation biologisch-dynamisch bewirtschaftet wird. „Für mich steckt hinter der biodynamisch Bewegung die Idee, nicht nur die Ernährung, sondern die Welt zu verändern“, so Hiß. Doch die Ideale blieben auf der Strecke. Die Idee einer sozial und ökologisch nachhaltigen Wirtschaftsweise wich vielerorts der Frage, was sich betriebswirtschaftlich lohnt. Auf den produzierenden Biobauernhöfen geht es heute genau wie im Verkauf vor allem darum, die steigende Nachfrage der Konsumenten nach hochwertigem und schadstoffarmem Obst, Gemüse und Fleisch zu bedienen.

Christian Hiß wollte wirtschaftlich Idealist bleiben und gründete – eine Aktiengesellschaft. Das Anliegen der „Regionalwert AG“, die sich als „Bürgeraktiengesellschaft in der Region Freiburg“ bezeichnet, ist auch gesundes Essen. Aber darüber hinaus will sie eine Landwirtschaft ermöglichen, deren Konzept nicht von betriebswirtschaftlichen Zahlen diktiert ist. „Die meisten Biobetriebe sind zu sozialen und ökologischen Kompromissen gezwungen, wenn sie rentabel wirtschaften wollen“, hat Hiß beobachtet.

Doch immer weniger Pflanzensorten auf immer größer werdenden Ackerflächen zerstören dauerhaft die ökologische Vielfalt einer Kulturregion. Besonders ertragreiche Sorten, so genannten Hybride, können nicht reproduziert werden und machen Bauern damit abhängig von international wirtschaftenden Saatgutlieferanten. Gegen diese und zahllose weitere Fallstricke gewinnorientierter Produktion setzt die Regionalwert AG auf kleinräumige Wirtschaftsstrukturen. „Die Aktiengesellschaft selbst betreibt dabei ja keine Landwirtschaft, sie verpachtet oder vermietet nur die Einrichtungen“, betont Vorstandsmitglied Hiß.

Er selbst hat 2006 seinen Betrieb als ersten in die Aktiengesellschaft überführt. Gemeinsam mit zwei weiteren Gärtnermeistern ist er dann als Pächter dorthin zurückgekehrt. Ein weiterer sogenannter Partnerbetrieb der AG ist ein Kuhstall mit Käserei. Im Kleinen gelingt der Regionalwert AG mit diesen Betrieben bereits, womit sie langfristig Schule machen will: das regionale Netzwerk. So baut die Gärtnerei mehr als 60 verschiedenen Gemüsearten an aus Saatgut, das sie selbst erzeugt.

Damit der Boden sich immer wieder erholen kann und nicht auslaugt, achten die Biobauern auf Fruchtwechsel: Regelmäßig säen sie auf den einzelnen Äckern statt einer Nutzpflanze anspruchsloses Kleegras. Das Kleegras kriegen die Kühe aus dem Viehstall als Futter und bedanken sich mit ihren natürlichen Ausscheidungen, die dann kompostiert und als Dünger auf die Felder geführt werden.

Verkauft werden die Produkte ebenfalls zum großen Teil ohne Umwege, im Hofladen der Gärtnerei oder durch direkte Lieferung zu den Kunden. Auch auf den Wochenmärkten wandern Schnittlauch und Schnitzel direkt in die Einkaufstaschen der Endverbraucher. Nach diesem Muster soll ein lokales Geflecht entstehen, das die Wertschöpfungskette vom Saatkorn bis zum fertigen Mittagessen abdeckt. Ethisch korrekt legt man hier sein Geld also auf jeden Fall an.

Doch politisch betrachtet ist die „Bürgeraktie“ viel mehr als eine Investition etwa in einen herkömmlichen Ökofonds, der sein Geld direkt in alternative Projekte steckt. Ihr Kauf soll es Menschen rund um den sonnigen Kaiserstuhl ermöglichen, direkten Einfluss auf die Gestaltung ihrer Region zu nehmen. In Eichstetten will man nämlich Nachhaltigkeit nicht nur fördern, sondern ihren Gewinn den Aktionären als Ergebnis auf ihre Kapitalanlage ausweisen, gewissermaßen als zweite Rendite.

Insgesamt 64 Indikatoren wurden jetzt erstellt, um künftig die ökonomischen, ökologischen und sozialen Auswirkungen auf Natur und Mensch messbar zu machen Außer Fachleuten hatten dabei auch die Aktionäre ein Wörtchen mitzureden. „Wir müssen ja gemeinsam überlegen, was uns wichtig ist“, sagt Unternehmer Hiß. Zum Juli sucht die Aktiengesellschaft übrigens einen zweiten Vorstand für den Bereich Finanzen. BewerberInnen sollen neben der fachlichen Qualifikation vor allem eins sein: ein regionales Produkt.