Biologische Vielfalt im Museum

Morgen öffnet nach längerer Umbaupause das Naturmuseum Senckenberg in Frankfurt am Main wieder seine Pforten. Die Hauptattraktion sind zweifellos die riesigen, imposanten Dinosaurier-Skelette. Den Besuchern soll aber auch vermittelt werden, wie Forschung heute funktioniert

„Wir wollendem Besucher zeigen,wie viele Artendort oben leben“

von EVA OPITZ

Fast könnte man meinen, ein wohlgefälliges Lächeln spiegele sich auf dem Antlitz des vor rund dreihundert Jahren geborenen und als Büste verewigten Frankfurter Naturforschers Johann Christian Senckenberg wider. Der zu seiner Zeit berühmte Stifter blickt von seinem Podest direkt auf die restaurierte neobarocke Pracht der Eingangshalle des nach ihm benannten Museums. Nach Monaten der Renovierung präsentiert eines der größten Naturmuseen Deutschlands eine lebendige und zeitgemäße naturwissenschaftliche Sammlung.

Nicht alles neu zu machen, sondern die Architektur des 1907 errichteten Museumsbaus behutsam mit den Ansprüchen an eine moderne Ausstellung zu verbinden war das Ziel der Museumsleitung. „Jedes Museum muss von Zeit zu Zeit runderneuert werden und offen sein für neue Diskussionen und wissenschaftliche Ergebnisse“, sagt Museumsleiter Gerhard Plodowski. „Eine solche Umgestaltung sei schwierig. „Wir können nicht wie in einem Kunstmuseum einfach die Bilder umhängen.“ Die großen Themen für die Frankfurter Schausammlung heißen Umweltschutz und Biodiversität, die Vielfalt der pflanzlichen und tierischen Arten auf dem Planeten Erde.

Dabei haben die Museumsmacher nicht nur die heutigen Lebewesen vor Augen. Der völlig neu gestaltete erste Lichthof im Erdgeschoss bietet genügend Raum für eine ganze Truppe von Dinosauriern, unter ihnen der mächtige Tyrannosaurus Rex. Folgt die Fantasie des Besuchers den Einfällen der Aussteller, dann zeigen die im Beton festgehaltenen und unter Glas sichtbar gemachten Trittspuren der Dinosaurier auf der Treppe, wie die mächtigen Tiere in den Hof gekommen sein könnten: Schritt für Schritt und Stufe für Stufe, wie andere Tiere auch. Nur die Dimensionen der Abdrücke verraten die Riesen aus dem Erdmittelalter.

Unter den Echsen hat eine paläontologische Seltenheit einen Platz gefunden. Der Diplodocus zeigt dem Gast sein Originalskelett. „Es ist das einzige außerhalb der USA“, erklärt Plodowski. Alle anderen Exemplare dieser Art in Europa seien Abgüsse. Dokumentiert wird damit die fast hundertjährige Tradition des Museums. Der Dinosaurier war ein Geschenk des New Yorker Natural History Museums zur Eröffnung des Neubaus auf der damals grünen Wiese, als die große Sammlung im alten Museum am Eschenheimer Turm nicht mehr unterzubringen war.

Große Paneele zeigen im Hintergrund, in welcher Pflanzenwelt sich die Reptilien bewegten. Wie überall im neu gestalteten Museum bilden wissenschaftliche Grafik, Erläuterungen und Exponat eine Einheit. „Schemazeichnungen zeigen dem Besucher die Sammlungsstücke in ihrer Funktion“, erklärt der Leiter des Senckenberg-Forschungsinstituts, Michael Türkay, zur Konzeption der Ausstellung. Tiere und Pflanzen würden durch die Zeichnungen zum Leben erweckt und in den richtigen Zusammenhang gestellt, zumal oft nur Bruchstücke vorhanden seien.

Neuzugang im Lichthof ist ein Saurier mit Namen Parasaurolophus. Mit modernen wissenschaftlichen Methoden haben Wissenschaftler dem seltsam gehörnten Tier nach 75 Millionen Jahren das Geheimnis seiner Rufe entlockt. Das neue multimediale Konzept lässt den Zuschauer die Laute des Dinosauriers direkt miterleben. „Wir schließen aus diesem Horn, mit dem er Laute erzeugte, dass er ein ausgeprägtes Sozialverhalten hatte“, sagt Plodowski. Die Tiere hätten sich untereinander warnen oder Paare zueinander finden können.

Unter dem Stichwort Biodiversität haben die Museumsfachleute unter anderem Amphibien und Reptilien neu ausgestellt und die Entwicklung von den Dinosauriern zu den Vögeln mit aktuellen Funden aus China dokumentiert. Neu ist auch die Darstellung der verschiedenen Stadien des Menschen vom Embryo bis zum Tod. Welche vielfältigen Formen Spinnen und Krebstiere wie die Riesenkrabbe oder der Palmendieb annehmen können, zeigt eine teils neue und teils ergänzte Ausstellung im Museum.

Als kleine Sensation präsentiert der Museumsleiter einen in langer Arbeit präparierten Papageienschnabeldinosaurier aus China. Der 120 Millionen Jahre alte Vogelbeckensaurier trägt Borsten auf dem Schwanz, die ihn wie ein Stachelschwein aussehen lassen. „Wozu er die Borsten brauchte, ist unbekannt“, erklärt Plodowski. Es sei das erste Mal, dass so ein Tier gefunden worden sei. Ein Stockwerk höher geht es ab in den mittelamerikanischen Urwald. Eine nachgebaute Forscherstation gibt den Blick frei auf das Kronendach eines dichten Waldes. „Wir wollen dem Besucher zeigen, wie viele bisher unentdeckte Arten dort oben leben und bedroht sind“, so der Wissenschaftler.

In anderen Räumen macht sich Vielfalt dicht gedrängt in Vitrinen breit. Ente an Ente, Fasan an Fasan zeigen, was die Natur innerhalb einer Familie an unterschiedlichen Arten hervorgebracht hat. „Wir haben ganz bewusst die alten Vitrinen behalten, die teilweise noch aus dem ersten Museum des 19. Jahrhunderts stammen“, sagt Türkay. „Die Besucher bleiben wieder davor stehen und freuen sich an der Vielfalt“ hat der Wissenschaftler beobachtet. Die Schausammlung ist für ihn eine Art öffentliche Publikation des Forschungsinstituts zum Thema Biodiversität.

Einen Zugang anderer Art liefern Computersimulationen, die das „Zentrum für Graphische Datenverarbeitung“ in Darmstadt für Senckenberg entwickelt hat. Dinosaurier mit Haut und Haaren haben zumindest auf dem Bildschirm wieder laufen gelernt. „Das ist nicht Disneyland, sondern das Ergebnis wissenschaftlicher Forschung“, versichert Plodowski.

Die enge Verbindung zwischen Museum und Forschung gewinnt an Fahrt, weil das digitale Zeitalter auch vor dem altehrwürdigen Senckenberg-Museum nicht Halt gemacht hat. „Mit einem interaktiven Netzwerk leitet das Objekt den Besucher zu den Datenbanken des Senckenberg-Forschungsinstituts weiter“, so Türkay. „Forschung wird für den Besucher wieder zugänglich.“