schurians runde welten
: Ballfahrt nach Schalke

„Was den psychologischen Bereich betrifft, haben wir uns nicht weiter entwickelt.“ (Jürgen Klinsmann)

Ginge es nach Fernsehkommentator Jörg Wontorra – ein Fußballfeld würde aus zwei Strafräumen bestehen. Das Niemandsland dazwischen würde der Sat1-Reporter kurzerhand streichen, was ihm noch mehr feuchte Ahs und Ohs entlocken würde und dem Zuhörer wenigstens Wontis torgeile Spielanalysen ersparte. Ginge es nach mir, wäre das Spielfeld zwischen den Torräumen eher größer: Was im Mittelfeld geschieht, wird von Wontorra verächtlich „Rasenschach“ genannt – ein passender Begriff. Auch Schachpartien werden nicht wie ein tollwütiges Pistolenduell ausgetragen. Erst wenn beide Seiten langsam nach vorne rücken, bis es doch zum Abtausch kommt, um wiederum Vorsicht walten zu lassen, ist das ein herrlicher Zeitvertreib – wie Defensivfußball.

Die nächtlichen Zusammenfassungen der Schach-WM zwischen Peter Leko und dem alten und neuen Titelträger Wladimir Kramnik im Westdeutschen Rundfunk haben mich jedenfalls angenehm hirnzerzaust ins Bett fallen lassen und mich in meiner Meinung bestärkt, dass ich bloß zehn Prozent meines geistigen Potenzials ausnutze. Die Großmeister um Helmut Pfleger hingegen, die dort an einem Schachdisplay aus den 1980er Jahren Variante über Variante durchspielten – deren Gedächtnis funktioniert wie der phantastische Strategiefußball der Fußballer von Juventus Turin, die Bayern München im eigenen Stadion klassisch auskonterten.

22.10. Essen – Köln

Ähnliches musste zuletzt auch Rot-Weiß Essen im Wildparkstadion in Karlsruhe erleben: Trotz aller Angriffe wurden die Essener mit 4:1 ausgeknockt, waren aber doch froh über eine gute Leistung. Trotz Auswärtsklatsche und Abstiegsplatz scheint auch RWE-Coach Jürgen Gelsdorf der klassischen Schönheit des Fußballs verfallen zu sein: „Es war für alle ein prima Abend, ein wunderschönes Spiel, wie immer, wenn wir beteiligt sind.“ Ansteckend gelassen geht der Trainer des Vorletzten auch in den Regionalschlager gegen Köln und den torhungrigen Lukas Podolski: „Irgendwann drehen sich die Dinge.“

24.10. Schalke – Mainz

Diese Bälle drehen sich nicht mehr. Eigentlich wollte Schalke 04 auf dem Berger Feld – heute schon bestückt mit Arena, Internat, Fanshop, Geschäftsstelle, Trainingsplatz, Parkstadion und Schalke-Museum – eine „Fußballerlebniswelt“ errichten. Eine Berliner Firma machte ein Konzept, doch das Land NRW verweigerte jetzt eine zweistellige Millionenbürgschaft, das Projekt ist gescheitert, vielleicht auch wegen dem bekloppten Projektnamen: „Ballfahrtsort“. Bah.

Apropos bekloppt – sie ahnen es! – am Sonntag ballfahrtet Jürgen Klopps FSV Mainz in die Arena auf Schalke. CHRISTOPH SCHURIAN