Schuldige Meerschweinchen

„Ich will kein Scheiß-Adaptions-Theater“: Michael Stauffer bricht am liebsten Charaktere und baut sich selbst in seine Werke ein. Zum Beispiel im heute gesendeten Hörspiel

Es bricht. Manchmal schnell und laut, dann wieder knarzt es und langsam birst der Charakter. Da! Das ist der Bruch! Wie bei Picasso ist ein und dieselbe Figur gleichzeitig von mehreren Seiten zu sehen. Der 33-jährige Schweizer Autor Michael Stauffer hat sich das Aufspalten zur Philosophie gemacht. Obwohl er seine Figuren ständig bricht, zerbricht er sie jedoch nie.

Heute Abend sendet das Nordwestradio erstmalig Michael Stauffers Hörspiel „Ich will auch Sänger werden“. Der Autor macht sich selbst zum Protagonisten und collagiert sein Leben in 36 Minuten für die Öffentlichkeit zusammen. „Auf dem Küchentisch eine Ausstülpung meines Seelenlebens: eine Kaffeetasse halb leer, ein Kaffeetasse halb voll, ein Messer mit Butter, Marmeladenreste, Fisch, Käserinde, Gummibänder in verschiedenen Farben, zwei Pakete Pasta, Feldenkreislehrerverzeichnis.“ Damit keiner zweifelt oder vergisst, dass der Ich-Erzähler Autor Michael Stauffer himself ist, wirft dieser immer wieder seinen eigenen Namen ein.

Wie auch in seinem neuesten Theaterstück „Gut zu wissen – Zeit heilt keine Wunden“, kürzlich vom Jungen Theater uraufgeführt. Frei nach Brecht tut er dort seine Botschaft kund: „Stauffer schreibt: Ich hasse mittelmäßige Bearbeitungen von bekannten Romanen von bekannten Autoren. Scheiß-Adaptions-Theater will ich nicht. Ich bin gemäß mir selber etwa der achtgrößte eidgenössische Dichter.“

Stauffers Stil ist bissig und ätzend, dabei aber gleichzeitig kühl. Lakonisch werden die existenzialistischen Fragen des Lebens geklärt: Wie ist das Leben? „Die Kirche ist groß und aus Stein. Die Telefonzelle daneben aus Glas. So ist das Leben.“

Wie wird einer so, wie er ist? „Ich hatte es schon als Kind nicht einfach. Die Hebamme hat das Gas- mit dem Bremspedal verwechselt. Mein Bruder lag im Kinderwagen und ich habe den Kinderwagen geschoben. Mein Bruder war sofort tot. Ich habe mit einigen bleibenden Schäden überlebt.“ Wer ist Schuld am Elend der Welt? „Vier Kinder, zwei Meerschweinchen, ein Einfamilienhaus und sozialdemokratisch wählen, so vergiftet sich die Gesellschaft.“ ANNA POSTELS

„Ich will auch Sänger werden“: Heute Abend um 22.05 Uhr im Nordwestradio