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Anderes Licht, andere Perspektive

So lakonisch, wie es die Gemälde selbst sind, beschreibt Mark Strands kleines Buch die Bilder von Edward Hopper

Die Straße, die an der Bar in Edward Hoppers berühmtesten Gemälde „Nighthawks“ (1942) vorbeiführt, ist gar keine Straße, sondern grüner Teppichboden. Diese Entdeckung verdanke ich Mark Strand. Zwar hat der amerikanische Dichter und Pulitzerpreisträger in seinem kleinen Büchlein „Über Gemälde von Edward Hopper“ (Schirmer/Mosel Verlag, München 2004, 104 Seiten, 14,80 €) das gar nicht gesagt. Er schreibt nur über das Licht, das aus der Bar auf den Gehweg fällt, doch das genügt, um plötzlich anderes zu sehen: „Fast hat es den Anschein, als sei das Licht eine Art Reinigungsmittel, denn nirgends finden sich Spuren städtischen Schmutzes. Die Stadt bringt sich, wie in den meisten Hoppers, eher formal als real zur Geltung.“

Nicht weniger lakonisch als Hopper seine Bilder komponierte und malte, bringt Mark Strand seine Beobachtungen zu Papier, zu denen ihn die Bildern des amerikanischen Malers anregten, dessen große Retrospektive nach London (siehe auch taz vom 13. August) jetzt im Museum Ludwig in Köln eröffnet hat. Die Ausstellung ist Anlass für das Erscheinen der deutschen Ausgabe von Strands Buch, das 2001 in den USA herauskam. In ihm wechseln sich die Farbabbildungen von dreißig Gemälden Hoppers aus der Zeit von 1925 („House by the Railroad“) bis 1963 („Sun in an Empty Room“), vier Jahre vor seinem Tod, mit 32 Kurzessays von einer bis zu drei Seiten Länge ab.

Es geht Strand darum, dem Betrachter und Leser die Bildstrategien Hoppers bewusst zu machen. Wie er immer wieder die geometrische Form des Trapezes verwendet und damit Bewegung in die gemalte Szenerie bringt oder auch Stillstand; wie Hopper vor lauter Wald keine Bäume sieht und wie die Natur in diesem Wald als eine dunkle undurchdringliche Wand erscheint; wie Hoppers berühmtes Licht kein atmosphärisches Licht ist, das die Luft ausfüllt und flirrt wie bei den Impressionisten; wie es vielmehr direkt an den Gegenständen zu haften scheint, fast als würde es von ihnen ausgestrahlt. Es scheint eher ausgedacht als beobachtet, ein kompaktes Licht, das nicht fließt. „Das reale Licht wechselt zu schnell für einen Mann, der so langsam arbeitete wie Hopper.“

Mit seinen luziden Betrachtungen will Strand freilich nicht bewirken, dass der Leser und Betrachter eine andere Materialität in Hoppers Bildern entdeckt. Er interpretiert die untersuchten Bildstrategien als Hoppers Methode Seelenlagen, Stimmungen und Gefühle zu malen. Wer statt einer Gemütsverfassung einen Teppichboden entdeckt, reagiert vielleicht nicht ganz richtig auf sein Anliegen.

Mich aber hat mein neues Sehen gefreut. Und diese Garantie kann für das feine, kleine und kluge Buch abgegeben werden: Es vermag seine Leser jederzeit auf neue Gedanken bringen und sie überraschende Sichtweisen entdecken lassen.

BRIGITTE WERNEBURG

Ausstellung bis 9. Januar, Katalog (Hatje Cantz Verlag) 34 €

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