berliner szenen Der Haarschnitt

Weihnachten naht

Die Frisur zum Krieg stand längst an. Aber bei Headhunter guckten sie nie hin beim Schneiden. Also doch der Omafriseur, wo die Auszubildenden aussehen wie das Casting für Cats. Wenigstens ist hier das Licht so günstig, dass man seinen Anblick im Spiegel erträgt.

„Ich hätte ja gerne mal was Flottes“, sagt die Oma neben mir zu dem Mädchen mit der Explosion auf dem Kopf. „Und Sie?“ fragt mich meine Auszubildende. „Hauptsache nichts Flottes“, sage ich. Wir fangen bei 12 mm an und tasten uns bis 6 mm vor. Vielleicht leiste ich mir gleich anschließend eine Haarverlängerung. Mitten beim Dösen erreicht mich ihre Frage: „Bleiben Sie über Weihnachten in Berlin?“ Weihnachten? Ist schon wieder Weihnachten? „Nein, ich muss zu meinen Eltern nach Mannheim.“

„Und Sie würden lieber nicht fahren?“

„Kennen Sie Mannheim?“

„Nein.“

„Dann sollten Sie es nicht kennen lernen.“

„Aber Ihre Eltern können doch auch herkommen.“

„Kennen Sie meine Eltern?“

Ich lache. Schrecklich, was das für Falten macht. Ich nehme mir vor, nie wieder zu lachen. Die Frisur der alten Dame neben mir wird immer flotter. Mein Mädchen ist etwas ausladend gebaut. Mein Hinterkopf verschwindet zwischen ihren Brüsten, ich kann gar nichts mehr hören, als sie mich wieder anspricht: „Arbeiten Sie oder studieren Sie?“

„Was? Ich arbeite. Warum?“

„Na, kann ja sein, dass Sie zum Studieren nach Berlin gekommen sind.“ „Wieso gekommen? Ich bin von hier.“ „Ach so, ich dachte, Sie sind aus Mannheim zugereist.“ Ich taumle nach Hause und erhole mich nur langsam von dem Schock. Das war ja noch schlimmer als gesiezt zu werden.

JOCHEN SCHMIDT