Hat Leipzig ausgespielt?

Filz und dubiose Geschäfte: Die Olympia-Bewerbung von Leipzig trudelt von einem Skandal zum nächsten. Am Freitag musste ein weiterer Manager zurücktreten. Sind die Spiele noch zu retten? Oder ist Leipzig als Olympia-Standort verbrannt? Zwei Standpunkte von Markus Völker und Frank Ketterer

Ja!

Seinen Anfang nahm das olympische Missverständnis in München. Leipzig galt bei der Kür der deutschen Kandidatenstadt nicht als erste Wahl. Dann kreuzte der Mann mit dem Cello auf. Leipzigs Bürgermeister Wolfgang Tiefensee griff zum Instrument – und das Wahlvolk war angetan vom Spiel des Strahlemanns. Was folgte, glich einem emotionalen Amoklauf. Die Schmierenkomödie nahm ihren Lauf.

Leipzig sollte es also sein, Tiefensees kleines Reich an der Pleiße. Die Oststadt. Das Nervenzentrum des DDR-Dopingsystems. Stätte der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) und des sagenumwobenen Forschungsinstituts für Körperkultur und Sport. Hier liegt es, das Sportforum, das einen architektonischen Mix aus Bauhaus, Kasernentrakt und stalinistischem Pomp bietet. Die sinistre Vergangenheit verbuchte Leipzig allerdings als Plus. Die Stadt könne sich als geläutert präsentieren, engagiert im Antidopingkampf. Dies werde das Internationale Olympische Komitee (IOC) sicherlich zu honorieren wissen. Doch mit der Aufarbeitung der Altlasten war es nicht weit her, wie schon das Turnfest im Jahr 2002 zeigte. Stasi-Enthüllungen und Organisationsprobleme sorgten für Negativschlagzeilen. Alles kein Problem, hieß es in Leipzig. Tiefensee beruhigte. Wird schon. Müssen nur alle fein zusammenhalten. Die Pannen indessen gingen munter weiter.

Zu stark ist die Verflechtung ehemaliger Eliten in den Filz der Stadt, als dass der Reigen der Peinlichkeiten hätte abreißen können. Leipzig musste an sich selbst scheitern. Tiefensee, der frühere Bausoldat, hat es versäumt, sein Umfeld zu bereinigen von belastetem Personal. So war es zwangsläufig, dass der Geschäftsführer der Olympia GmbH, Dirk Thärichen, ins Netz journalistischer Recherche ging. Dabei war sein Dienst im Wachregiment der Staatssicherheit nur eine Randnotiz, weit schwerer wogen die Freundschaftsdienste für alte Geschäftspartner, die Herren Ziegfeld und Radosevic. Sie tun sich auf dem weiten Feld des Marketings um und organisieren seit Jahren das Leipziger Frauen-Tennisturnier. Sie sind wegen fragwürdiger Praktiken berüchtigt. Thärichen wurde im Oktober abberufen. Zuletzt auch der Olympiabeauftragte der Stadt, Burkhard Jung.

Tiefensee gefriert allmählich sein ostentatives Lächeln. Und, weit schlimmer für den SPD-Politiker, ihm gehen die Leute aus, die er an seiner statt opfern kann. Er mag unterschätzt haben, dass die moralischen Maßstäbe, die an eine Olympiabewerbung angelegt werden, weit genauer messen als in der Wirtschaft. Die Berliner Bewerber haben das bereits bitter erfahren müssen. Die Stimmen werden nun lauter, das Projekt Olympia 2012 zu begraben. Warum nicht? Von einem nationalen Schulterschluss ist weit und breit nichts zu sehen. Die Olympiamacher zerreiben sich in hausgemachten Skandalen und in den Mühlen der Parteipolitik. Unsummen Steuergelder wurden bereits verschleudert. Selbst Krisengipfel unter Beisein des Innenministers führten nicht zum Ende der Querelen.

Was mag der IOC-Präsident zu derlei Bewerbungsgeschick sagen? Die Möchtegern-Olympier aus Leipzig glauben, dass nichts von ihren regionalen Misslichkeiten in die große Welt des IOC dringt. Dabei hat es Jacques Rogge längst gehört, das Scheppern aus Deutschland, nicht mehr ganz so laut wie vor Ort, aber er ist ein Mann, dessen Sinne sich schärfen, wenn sich ein Prätendent daneben benimmt. Leipzigs Tonlage hat sich verändert. Schöne Klänge, etwa Bachs „Dona nobis pacem“ in der Interpretation Tiefensees, sind nicht mehr zu vernehmen. MARKUS VÖLKER

Nein!

Frohe Botschaften sind rar geworden, wenn es um Leipzig geht und um die Olympischen Spiele, die die Stadt an der Pleiße ausrichten möchte im Jahre 2012. Umso mehr muss man sich an Worten festhalten, die Positives verheißen. Worte wie die von Gian Franco Kasper. Der Schweizer ist Präsident des Internationalen Skiverbandes, Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) zudem – und somit einer jener Männer, die 2005 die Spiele vergeben. Erst Ende Oktober hat Herr Kasper die Querelen der Leipziger Bewerbung als „innerdeutsches Problem“ bezeichnet und festgestellt: „Ich glaube nicht, dass das international eine Rolle spielt.“

Bei allem Vorbehalt und aller Vorsicht, die mittlerweile gegenüber der Leipziger Bewerbung geboten scheint: Mit dieser Einschätzung, formuliert von einer international renommierten Sportfunktionärsgröße, kann Leipzig leben – mindestens so gut (oder so schlecht) wie an jenem 12. April, an dem die Heldenstadt die nationale Konkurrenz so strahlend hinter sich ließ. Natürlich sind den Verantwortlichen seither grobe Fehler unterlaufen, wie mittlerweile selbst Wolfgang Tiefensee, Oberbürgermeister und keineswegs makelloses Gesicht der Bewerbung, einräumt. Und natürlich ist daraus Chaos entstanden – und Schlagzeilen, in denen das Wort „Skandal“ eine wesentliche Rolle spielt. Grob zusammengefasst gehen die Skandale so: Dirk Thärichen, einer der Geschäftsführer der Olympia GmbH, wurde wegen Verdachts der Untreue entlassen; Wolfgang Köhler; der sächsische Olympia-Staatssekretär, abberufen, weil er dafür gesorgt haben soll, dass seine Gattin einen zumindest moralisch unsauberen Provisionsvertrag mit der städtischen Förder- und Verwaltungsgesellschaft abschließen konnte; am Freitag kostete es auch noch Burkhard Jung den Kopf: Der Olympiabeauftragte der Stadt musste zurücktreten, weil öffentlich geworden war, dass er der Marketingagentur SCI 150.000 Euro Provision aus städtischen Mitteln zugebilligt hatte. Wie sehr wiederum Tiefensee in all das verstrickt ist, wird gerade geprüft.

Keine Frage: Die Leipziger Olympiabewerbung hat deutlich an Glanz verloren. So, wie sie sich derzeit aufstellt, ist sie zuvorderst eine Chronik der kommunalen Verflechtungen – besser: des Filzes. Das ist nicht nur unschön, sondern Unrecht – und muss strafrechtlich verfolgt werden. Andererseits ist Filz wahrlich kein Leipziger Phänomen – dass der Olympiabeauftragte Jung über einen Betrag von 150.000 Euro gestolpert ist, zeigt, in welchem Rahmen sich der olympische Filz offenbar abgespielt hat. In Deutschland mag das für einen Skandal reichen; für die Herren vom IOC aber, selbst nicht alle mit bestem Leumund ausgestattet, bedeutet eine solche Summe nicht mehr als: Peanuts. Und selbst Jacques Rogge, der als redlich geltende IOC-Präsident, wird bei allem Negativen positiv registrieren, dass die Selbstreinigungskräfte mittlerweile zu wirken beginnen. Was im Vorfeld, jetzt, aufgedeckt wird, kann ihm danach keine Sorge mehr bereiten – und keine Skandale. In der Vergangenheit war das nicht immer so.

Für die Leipziger Bewerbung bedeutet das: Endgültig klar Schiff machen – sofort, schonungslos – und mit allen noch erdenklichen Konsequenzen. Und sich auf die faktischen Stärken des liebenswürdigen Außenseiters konzentrieren, die ja durchaus vorhanden sind. Selbst dann, das ist seit Anfang an bekannt, wird es schwer, die Spiele nach Deutschland zu holen. Aber es ist nach wie vor nicht unmöglich. FRANK KETTERER