Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

Ein „Wunder von Bochum“ wird es auf dem SPD-Parteitag nicht geben. Die Sozialdemokraten versuchen sich stattdessen in der hohen Kunst der Programmlosigkeit – und Erich Kästner hilft uns da auch nicht mehr weiter

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht letzte Woche?

Friedrich Küppersbusch: Peter Müllers geschmeidiges Teppichhändler-Mantra ist überhört worden: „Steigt auf unseren Merz ein, dann winken wir eure Steuersenkung durch.“ Der Saar-MP hatte bezüglich typischer Bundesrats-Albernheiten schon einmal den Begriff „legitimes Theater“ geprägt. Diesmal kann er ihn bevorzugt aufs eigene Ensemble münzen.

Was wird diese Woche gut?

Merz’ nächster Ausraster gegen Merkel wegen siehe oben.

Die Medien feiern derzeit Wunder. Erst im Kino das „Wunder von Bern“, nun im TV das „Wunder von Lengede“. Fehlt nur noch das „Wirtschaftswunder von Berlin“.

Ich aber sage euch: Kommt schon.

Auf Wunder muss auch die SPD hoffen. Bis die geschehen, wird übers Programm diskutiert. Die „Netzwerker“ oder „Nach-68er“, wie sie sich gern nennen, wollen der klassischen Sozialdemokratie den Garaus machen. Der fürsorgliche „Vater Staat“ soll durch „Partner Staat“ ersetzt werden: die Eigenverantwortlichkeit der Bürger sei künftig Trumpf. Wie werden die Genossen das aufnehmen?

Zögernd. Soziseits heißt der Selbstfindungsmythos immer noch „Das Wunder von Godesberg“: Abschied von Verstaatlichungsfantasien, Ankunft im tiefen Tal sozialer Reparaturen an der Marktwirtschaft. Der neue Sozi, der dann auch an die Macht durfte, unter der Überschrift: „Keine Angst, der will nur spielen.“ Ein „Wunder von Bochum“ aber wird es nicht geben, denn nicht das alte oder neue Programm ist entscheidend, sondern die hohe Kunst der konsequenten Programmlosigkeit. Vereinfacht. Die Politik ist im Journalismus angekommen, und der macht Themen, nicht Grundlinien.

Ist Bochum als Tagungsort nicht falsch gewählt?

Üblicherweise markiert ein Parteitagsschauplatz ein besonders wichtiges Wahlkampfgebiet. Mit dem Machtverlust in Nordrhein-Westfalen, der nach heutigem Stand unausweichlich scheint, kann die SPD auch im Bund einpacken. Friesenimport Steinbrück („Leader so schön wie der Norden“) fremdelt wie der ebenso aussichtslose Asylbewerber Blüm ehedem; Bochum hingegen ist ein Heimspiel für den geheimen Ersatzkanzler Clement.

Schon vor Bochum ärgert sich der SPD-General Olaf Scholz über die Netzwerker. Müsste er nicht froh sein: Gegenüber deren Ideen wirken seine Vorschläge noch richtig sozial?

Das Klischee vom Scholzomaten, der den Begriff „Generalsekretär“ wieder auf den Wortkern „Schreibmöbel“ zurückgeführt habe, greift zu kurz. Der Mann ist vom ganzen Habitus her Defensivspieler und darf alles sagen, was ihn weder in Widerspruch zu Schröder noch zu Müntefering bringt. Also nichts. Das wiederum macht er ganz gut, Scholz wird in Bochum deutlich im Amt bestätigt werden. „Netzwerker“ übrigens beschreibt eine Technik zur Macht, nicht deren Inhalt – auch so ein Symptom.

Neue Machttechniken scheint auch der saarländische Oppositionschef Heiko Maas auszuprobieren. Schröder soll erst in seinem Wahlkampf auftreten dürfen, wenn die Bundespartei in Umfragen wieder über 35 Prozent liegt. Lafontaine reloaded, oder was ist das?

Ist es nicht irgendwie auch wurst, in welcher Konstellation die Saar-SPD die Wahl vergeigt? Lafontaine versteht sich zurzeit als „freier Schriftsteller“, und als solcher ruft er pro TV-Auftritt Honorar, Flüge plus Hotel auf. Solide Tarife, aber Bohlen ist deutlich teurer. Vielleicht wollten manche ihm ein Amt anhexen, damit er es wieder für umme machen muss. Vogel, Engholm, Scharping, Lafontaine – in 20 Jahren werden wir von der promisken Phase der SPD reden. Oder Mitleid-Crisis. Wobei einzig Vogel so eine gerade Furche zog, dass er beim Parteitag ehrengastieren kann.

Aber der „freie Autor“ Lafontaine spricht immerhin das zentrale Problem an: Wenn du den Leuten was wegnimmst, dann doch den Reichen mehr und Armen weniger. Oder ist das nicht mehr sozialdemokratisches Gemeingut?

Tja. Wir haben bitterarme Rentner und wohlsituierte Pensionäre, Lafontaine zum Beispiel. Scharf rechnende Facharbeiter und fett verdienende Gelegenheitsjobber. Die herkömmlichen Klassenkategorien decken sich nicht mehr mit „arm“ und „reich“.

Klassenüberschreitend wird auch Harry Potter gelesen. Von Ihren Kindern ebenfalls?

Mein Sohn hat alle Bände gelesen bisher, aber zurzeit ist „Tintenherz“ vorne.

Auch so eine wundersame Geschichte. Und was lernen Sie daraus?

Dass ich sowohl Neil Postman als auch Erich Kästner, mit unterschiedlichem Bedauern, in die Tonne kloppen kann. Die neue Architektur in Berlin – zum Beispiel das Kanzleramt – legt Zeugnis ab von einer Generation, die mit Lego und Duplo groß geworden ist. Die nächste wird Käpt’n Iglu zum Kanzler wählen.

Und was macht Borussia Dortmund?

Ruft neuerdings 17,90 Euro für den Besuch bestimmter Bereiche seiner Homepage auf. Das empört die bekanntlich gratis verteilte Bild und andere auch. Dabei ist es ganz richtig, etwa Jugendliche vor bestimmten Informationen über den BVB zu schützen. Etwa darüber, wie er zurzeit spielt. FRAGEN: DANIEL HAUFLER