„Es riecht nach Kristallnacht“

In München wurde der Grundstein für eine Hauptsynagoge gelegt. Es ist momentan das größte jüdische Bauprojekt in Europa. CSU-Chef Stoiber forderte indirekt, dass der CDU-Abgeordnete Hohmann wegen antisemitischer Äußerungen zurücktritt

aus München JÖRG SCHALLENBERG

„Denn heute, nach genau 65 Jahren, bin auch ich ganz wieder in meiner Heimat angekommen.“ Man hätte eine Stecknadel fallen hören können im großen Festzelt am Münchner St.-Jakobs-Platz, als Charlotte Knobloch ihre Rede beendete. In einer kurzen und eindrucksvollen Schilderung hatte die Präsidentin der Jüdischen Gemeinde Münchens erzählt, wie sie als kleines Mädchen den 9. November 1938 erlebt hatte, als fast auf die Stunde genau vor 65 Jahren ein anonymer Anrufer ihren Vater, einen jüdischen Rechtsanwalt, warnte, „dass etwas gegen die Juden im Gange sei“. Auch Knoblochs Familie verlor nach der damals so genannten Reichskristallnacht Hab und Gut, viele ihrer Verwandten kamen um. Seit jenem Tag, so gestand die sonst gern streitbare Präsidentin ein, war „ein Teil meiner Koffer immer noch auf der Flucht“.

Bis zum 9. November 2003. Bis zu diesem Festakt, bei dem der Grundstein für das neue jüdische Zentrum in den Boden eingelassen wurde. Mitten in München, nur ein paar Gehminuten von Marienplatz und Viktualienmarkt entfernt, sollen auf dem St.-Jakobs-Platz die neue Hauptsynagoge der Stadt, ein Gemeinde- und Kulturzentrum, ein jüdisches Museum, ein Kindergarten und ein koscheres Restaurant entstehen. Es ist das momentan größte jüdische Bauvorhaben in ganz Europa.

Wie weit jüdisches Leben in Deutschland dennoch von einer Normalität entfernt ist, bewiesen die extremen Sicherheitsvorkehrungen. Mehr als 400 Polizeibeamte bewachten den hermetisch abgeriegelten Platz, die Gäste wurden durch mehrere Absperrungen und ein Parkhaus in das Festzelt geschleust.

Die Sicherheitsmaßnahmen waren drastisch verstärkt worden, nachdem vor einigen Wochen Rechtsradikale verhaftet wurden, die offenbar einen Anschlag auf die gestrige Feier planten. Bei ihnen wurden insgesamt 1,4 Kilo TNT gefunden. Zwar bezweifeln Sicherheitsbehörden, dass die Neonazis logistisch zu einem gravierenden Attentat in der Lage gewesen wären, dennoch blieb es beklemmend, im dicht gefüllten Festzelt zu sitzen und sich die Auswirkungen einer Bombenexplosion vorzustellen.

Bundespräsident Johannes Rau bezeichnete die Pläne der „zum Mord entschlossenen Rechtsextremisten“ als „Angriff auf die Gesellschaft als Ganzes“. Im Hinblick auf die kürzlich bekannt gewordenen Äußerungen des CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann warnte er vor dem Versuch einer „Geschichtsklitterung“.

Deutlich wurde auch der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU), der Hohmann als „Repräsentant des deutschen Volkes“ vorwarf, „sich schuldig gegenüber dem Andenken an die Opfer und dem Respekt für die Lebenden und die Überlebenden“ gemacht zu haben. Indirekt forderte Stoiber Hohmann auf, sein Mandat im Bundestag niederzulegen, indem er ihn „außerhalb des Verfassungsbogens“ einordnete.

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, kritisierte die wachsende Gleichgültigkeit gegenüber rechtsextemen Gewalttaten. Und er zitierte ein Lied der Kölner Rockgruppe BAP, in dem es schon vor zwanzig Jahren hieß: „Es riecht nach Kristallnacht“. Der „lange Schatten der Vergangenheit“, befand Spiegel, werde „wohl nie ganz weichen“.

Das wurde auch in einer kurzen Filmsequenz deutlich, die über die großen Leinwände flimmerte, die die Grundsteinlegung ins beheizte Zelt übertrugen: Da alberten draußen auf dem St.-Jakobs-Platz ausgelassen drei jüdische Kinder herum – und im Hintergrund waren zwei schwer bewaffnete Polizistinnen in voller Kampfmontur zu erkennen, die an den Absperrungen patrouillierten.

Gleichzeitig wurde bekannt, dass im nordrhein-westfälischen Sprockhövel ein jüdisches Mahnmal beschädigt wurde, das gestern offiziell übergeben werden sollte. Unbekannte hatten Freitagnacht die Gedenktafel aus ihrem Mauerrahmen herausgebrochen. Allerdings konnte das Mahnmal rechtzeitig repariert werden – und ist wie geplant gestern eingeweiht worden.