Liberalisierung des Handels ist kein Dogma

Internationaler Appell: Entwicklungsländer sollen ihre Märkte schützen dürfen. Konferenz „Politik gegen Hunger“

BERLIN taz ■ Die Subventionen für landwirtschaftliche Produkte aus Industrieländern müssen reduziert und großenteils abgeschafft werden. Entwicklungsländer sollen ihre einheimischen Lebensmittelmärkte vor Billigimporten schützen können. Das sind die wichtigsten Botschaften der internationalen Konferenz „Politik gegen Hunger“, die gestern in Berlin zu Ende ging.

Auf Einladung des Bundeslandwirtschaftsministeriums, des Auswärtigen Amts sowie des Wirtschafts- und Entwicklungshilfeministeriums trafen sich über 200 Vertreter aus 70 Ländern, um Handlungsempfehlungen für die Agrarverhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO) zu geben.

„Das wichtigste Ergebnis ist, dass wir Leute zusammengebracht haben, die sonst nicht an einem Tisch sitzen: die Experten für den freien Handel und die für Armutsbekämpfung“, resümierte Konferenzleiter Nicolas Nimboden. Es habe lange gedauert, bis beide Seiten sich überhaupt verständigen konnten. Als besonders positiv sieht er, dass sich die Teilnehmer aus den Entwicklungsländern zunehmend für die Idee der Liberalisierung geöffnet hätten. Liberalisierung werde zumindest als unvermeidbar begriffen. Daher forderten die Teilnehmer flankierende soziale und ökologische Maßnahmen, um die Vorteile des Freihandels zu nutzen und Hunger und Armut als Auswirkungen zu vermeiden.

Zu den Forderungen gehört, dass die reichen Länder ihre Zölle für verarbeitete Produkte aus Entwicklungsländern senken oder abschaffen. Bislang ist beispielsweise die Einfuhr von Kakao in die Industrieländer erwünscht, für Kakaopulver aber gibt es hohe Zollhürden. So entgeht den Entwicklungsländern die Wertschöpfung. „Der globale Markt bietet neue Möglichkeiten, Nahrungsmittelsicherheit zu garantieren“, heißt es in dem Abschlusspapier der Konferenz. Allerdings gebe es eine Minderheit, die weiterhin nicht glaube, dass Liberalisierung der Armutsbekämpfung dienen könne.

Das Abschlusspapier der Konferenz sei insgesamt zu liberalisierungsfreundlich verfasst und gebe nicht die Essenz der Konferenz wieder, kritisiert dagegen Armin Paasch von der internationalen Menschenrechtsorganisation Fian (Foodfirst-Informations- und Aktionsnetzwerk). Als zentrale Forderung betrachtet Paasch, der selbst an Arbeitsgruppen teilnahm, den Schutz von Kleinbauern und von Grundnahrungsmitteln in Entwicklungsländern. Solche „special products“ sollen nach Meinung der Konferenzteilnehmer mit Zöllen vor Dumpingimporten geschützt werden.

Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast (Grüne) stärkte die Forderung nach Schutzregeln für die Entwicklungsländer. „Die ungesteuerte Liberalisierung würde bedeuten: wieder einmal Gewinne zu privatisieren und die Lasten zu vergemeinschaften. Deshalb bedarf es Leitplanken.“ Ein starker Zollabbau in Entwicklungsländern könne bedeuten, dass dort die Regierungen weniger Geld hätten, den Wandel sozial abzufedern, sagte Künast. Fokus der WTO-Verhandlungen müsse das Recht auf Nahrung sein und die Kriterien für gutes Regierungshandeln. Leitlinien dafür wurden auf einer UN-Konferenz im September in Rom definiert. Sie werde sich weiterhin für eine EU-Agrarpolitik einsetzen, die die Interessen der Armen in den Entwicklungsländern und auch die nachhaltige Landwirtschaft in Europa im Auge habe, sagte Künast. BEATE STRENGE