Schatten am Golf

Schon seit Mai beschäftigt Saudi-Arabien die terroristische Bedrohung im eigenen Land

aus Dschiddah REEM YESSIN

„Nach den Amerikanern waren wir Saudis diejenigen, die am stärksten von den Anschlägen betroffen waren“, beschrieb ein saudischer Prinz nach dem 11. September 2001 die Attentate von New York und Washington. Ihre Auswirkungen haben den Golfstaat dramatisch verändert. Und nicht erst am vorigen Samstag, schon am 12. Mai dieses Jahres haben sich Volk und Regierung eingestehen müssen, dass es eine terroristische Bedrohung auch im eigenen Land gibt. Damals steuerten Selbstmordattentäter vier mit Bomben beladene Wagen in eine hauptsächlich von Ausländern bewohnte Siedlung in der Hauptstadt Riad. Bei der Explosion starben 35 Menschen, darunter zwölf Saudis und neun Amerikaner. Der Besitzer der Siedlung, ein 33-jähriger Saudi, wurde am Eingangstor erschossen.

Seitdem herrschen in Saudi-Arabien strenge Sicherheitsmaßnahmen, überall stehen Kontrollposten, und es gibt immer wieder Anschlagswarnungen. Am Samstag blieben deswegen die amerikanische Vertretungen in Riad, Dschiddah und Dhahran geschlossen. Schon vorletzte Woche hatten die britische und die australische Regierung vor Reisen nach Saudi-Arabien gewarnt – gegen große Proteste der saudischen Regierung.

Auch sie hatte wohl der Ruhe vertraut, die am Samstag noch in den Städten herrschte. Die Straßen lagen vormittags still, so wie es während des Ramadans üblich ist. Das hat sich mit den jüngsten Attentaten gründlich geändert. Bei der Explosion der drei mit Sprengstoff beladenen Autos in einer Siedlung im Westen Riads, die hauptsächlich von ausländischen Arabern bewohnt wird, sind nach offiziellen Angaben elf Menschen getötet und 122 verletzt worden.

In jedem Viertel und an den Ausfallstraßen der Städte stehen seither schwer bewaffnete Einheiten der Spezialpolizei. Sie überprüfen Papiere und winken Passanten durch. Die Menschen ertragen es geduldig. In langen Schlangen stehend halten sie ihre Ausweise bereit, verschleierte Frauen zeigen ihre Gesichter.

Doch ob diese Vorkehrungen reichen, darüber herrscht inzwischen Zweifel. Zwar meint Ussama Kurdi, Mitglied des Konsultativrates des Königshauses, die Regierung treffe alle Maßnahmen, um die Sicherheit der Bürger zu garantieren. „Die Polizei braucht eine bessere Ausbildung. Es fehlt an Erfahrung“, sagt dagegen ein ehemaliger Armeegeneral, der nicht genannt werden will. Auch in den Schlangen macht sich trotz aller Kooperationsbereitschaft Unmut breit. „Manchmal warten wir zu lange, warum stellen sie nicht mehr Polizisten an?“, fragt Dina, eine 45-jährige Hausfrau.

Schon seit Mai wird darüber gemunkelt, wer hinter den Anschlägen im Land steckt. Die Gerüchteküche hat nun neue Nahrung bekommen. „Es sind keine Al-Qaida-Kämpfer, sondern afghanische Araber“, vermutet der General. Er meint ehemalige Freiwillige aus arabischen Ländern, die seit dem Ende der russischen Besatzung Afghanistans, meist arbeitslos, vor dem Nichts stehen.

„Die Anschläge in Riad konfrontierten uns Saudis mit einem völlig fremden Szenario – dem Konflikt verschiedener Gruppen im Lande“, erklärt Faisal, ein 31-jähriger Bankangestellter aus Riad. Da sind die Liberalen, die meist im Ausland leben, wie Abdul Rahman al-Raschid, Chefredakteur von al-Sharq al-Awsat, einer der bekanntesten arabischen Zeitungen, und gemäßigte Islamisten, wie der beliebte Gelehrte Ruwaida al-Qarni. Hinzu kommen noch die Schiiten im Osten des Landes als religiöse Minderheit und natürlich die Extremisten. Die Auseinandersetzung zwischen diesen Gruppen ist nach den Anschlägen vom Mai heftiger geworden.

Das saudische Volk ist ein „friedliches Volk und es hat und wird immer Religion und Regierung respektieren“, sagt der General. Im Vergleich zu anderen arabischen Ländern, die aus saudischer Sicht wegen der dort herrschenden Diktaturen oder dem verbreiteten Liberalismus die arabische oder islamische Identität verlieren, schafften die al-Sauds es, in ihrem Land für Ruhe zu sorgen, argumentiert der Militär, trotz der weit verbreiteten Korruption. Der Wille der Herrscherfamilie, die begonnenen Reformen durchzusetzen – darunter Gesetze zur Verringerung der Arbeitslosigkeit und der Verbesserung der Rechte von Frauen –, bedeutet allerdings auch eine Entmachtung der religiösen Kräfte. So wurde zum Beispiel die Behörde zur Erziehung von Mädchen nach einem Brand in Mekka, bei dem 14 Schülerinnen ums Leben kamen, aufgelöst und dem Erziehungsministerium eingegliedert. Ein schwerer Schlag für die Religionspolizei. Und in diesem Jahr wurde gar der Religionsunterricht für Mädchen gekürzt.

Trotz alle politischen und wirtschaftlichen Veränderungen – eine rein säkulare Regierung ist für viele Saudis undenkbar. „Wir lieben unsere Religion, und der Islam spiegelt sich nicht im Islam der al-Qaida wider, es ist eine friedliche Religion“, sagt Sara, eine 26-jährige Studentin aus Dschiddah. Wie viele andere glaubt sie, dass der Terror im Lande Resultat der Zusammenarbeit von CIA und saudischer Regierung ist. Diese unterstützte unter dem freundlichen Blick der USA in den den Achtzigern die Freiwilligen in Afghanistan großzügig im „Kampf gegen den Kommunismus“. Auch viele Saudis verdingten sich damals nach Afghanistan, darunter solche aus wohlhabenden Familien. Mit dem Ende des Krieges am Hindukusch begann der Terror. Hinzu kam die Stationierung von US-Truppen in Saudi-Arabien im Zuge des Golfkrieges von 1991 – ein Dorn im Auge der Radikalen.

Im Kampf gegen den Terror geht die Regierung seit Mai zweigleisig vor. Mehrfach wurden mutmaßliche Terroristen festgenommen. Nach jahrelangen Verhandlungen einigten sich Saudi-Arabien und Jemen zudem endlich, den Waffenschmuggel einzudämmen. Siebzig Prozent der illegalen Waffen im Golfstaat stammen aus dem Jemen, der Rest aus Kuwait. Gleichzeitig leitete die Regierung politische Reformen ein. Sie akzeptierte damit, dass es auch andere Machtgruppen im Land gibt und sie mit den moderaten führenden Persönlichkeiten einen Dialog beginnen muss. Ein Zeichen dafür ist die Ankündigung von Teilwahlen auf kommunaler Ebene – die ersten politischen Wahlen in Saudi-Arabien überhaupt.