Von Scheidepunkten

Der Hamburger Buchhändler Thorwald Proll hat zusammen mit Daniel Dubbe einen Interviewband veröffentlicht, in dem er über seine Vergangenheit bei der APO und Angeklagter im Frankfurter Kaufhausbrandprozess berichtet

Viele werden Thorwald Proll als Buchhändler kennen. In Ottensen, in den Zeisehallen, betreibt er zusammen mit Renate Fink seit 1992 den Nautilus Buchladen – nach einem Umzug aus der Bahrenfelder Straße, wo die beiden bereits vor 25 Jahren ihr Geschäft eröffneten. Prolls weniger bekannte Vergangenheit als APO-Aktivist und Angeklagter im Frankfurter Kaufhausbrandprozess lässt sich jetzt dem kleinen Interviewband Wir kamen vom anderen Stern. Über 1968, Andreas Baader und ein Kaufhaus entnehmen, der vor Kurzem in der Edition Nautilus erschienen ist.

Sein Interviewer Daniel Dubbe scheint zur Vorbereitung wenig mehr gelesen zu haben als Stefan Austs Der Baader-Meinhof-Komplex. Ein ums andere Mal hängt er seine Fragen an Zitaten aus dem Buch auf und drängt seinen Gesprächspartner, zu den meist psychologisierenden Urteilen des Reporters über Andreas Baader Stellung zu beziehen. Denn Proll stand 1968 in Frankfurt nicht nur zusammen mitGudrun Ensslin und Baader vor Gericht, er war mit beiden auch längere Zeit befreundet.

Einige Vorurteile, wie etwa das von Baaders despotischem Gruppenverhalten, kann Proll entkräften. Insgesamt gelingt es ihm aber nicht immer, sich den Vorgaben Dubbes zu entwinden. Austs retrospektiv gefasster Politthriller schlägt immer wieder quer, wo es in Wir kamen vom anderen Stern doch eigentlich darum geht, die Stimmung zu erfassen, die APO-Aktivisten vor Gründung der Roten Armee Fraktion umgetrieben hat.

Doch wenn der Interviewer ihm Raum dazu gibt, erzählt Proll in einer tastenden Sprache von den Scheidepunkten, an die der Tod von Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 oder das Rudi Dutschke-Attentat im April darauf die 68er-Bewegung gebracht haben, noch bevor das Jahr, nach dem sie benannt ist, um war. Das von Proll verfasste Schlusswort der Angeklagten im Frankfurter Kaufhausbrandprozess dokumentiert Wir kamen vom anderen Stern in einer ungekürzten Fassung.

Bis zur Revision auf freien Fuß gesetzt, tauchten die Verurteilten nach dem Prozess in Paris unter. Thorwald Proll stellte sich 1970 den Behörden. Zahlreiche Fotos aus dieser Zeit illustrieren die Leichtigkeit, mit der sich eine Clique von Leuten im Untergrund bewegt, bevor sich einige von ihnen zu einer radikalen Zuspitzung gedrängt sahen. Eine Chronik gibt darüber hinaus einen Überblick über die Jahre von 1963 bis 1977. Jana Babendererde

Thorwald Proll/Daniel Dubbe: Wir kamen vom anderen Stern. Über 1968, Andreas Baader und ein Kaufhaus, Edition Nautilus, Hamburg, 2002, 126 Seiten, 9,90 Euro