Heftige Reaktion auf hanseatische Kotzbrocken

Familien-Bremen-Verbotene-Liebe-Revolutions-Roman-Trilogie „Familienfoto“ im Waldau-Theater. Vielschreiber Jürgen Alberts liest und spielt mit rosa Schweinchen

Von hinten dröhnt die Kühlschrankbatterie. Einer der Holzbläser, die den Bremer Krimi-Autoren Jürgen Alberts musikalisch durch den Abend begleiten, lehnt seinen Kopf leicht erschöpft an die Wand. Sein Schatten formt elegante Schmetterlingsflügel. Alberts liest mit sonorer Stimme – sie vermengt sich mit dem aufdringlichen Kühlgebrumme – aus seinem neuen Roman „Familienfoto“. Hinter seinem Pult sorgen die Lichter vorbeirasender Züge für Bewegung. Eine Unterschriftenliste gegen Sozialabbau und Aufrüstung wird herumgereicht.

Etwas subversiver geht es im ersten Roman der Trilogie zur Sache: In der jüngsten Generation zweier verfeindeter Familien aus der Bremer Jurisprudenz, den Sippen Huneus und van Hagen. Die Schwestern Gabriele und Hannah Huneus kämpfen um 1968 gegen familiäre Widerstände – Hannah für ihre politische Gesinnung: Auch in Bremen gehen die Studenten für gesellschaftliche Veränderungen auf die Straße, protestieren gegen teure Straßenbahntickets und wohnen plötzlich in für die ältere Generation inakzeptablen Wohngemeinschaften. Die unsterblich verliebte Schwester Gabriele kämpft für ihre verbotene Beziehung zu Wolfgang van Hagen – natürlich eine interfamiliäre Liaison fatale und Shakespeare als Vorlage. Vor lauter emotionaler Anspannung kotzt Gabriele denn auch auf die schön hergerichtete Kaffeetafel und kriegt rote Pusteln.

Die politischen Diskussionen machen vor den Familien Huneus und van Bergen nicht halt. Hanseatische Tugenden prallen auf revolutionäre Ansichten prallen auf alternde Doppelmoral prallen auf unerwartet heftige Aufmüpfigkeit. Exekutive und Junglinke schlagen sich vor Verlagshäusern die Köpfe ein, Richter und Schulleiter – mancher aus alten Nazi-Zeiten – suchen ihre Pfründe zu retten, Väter und Töchter geraten beim traditionellen Sonntagstee aneinander. Eine Zereißprobe für beide Familien. Die Kühlbatterie brummt immer noch.

Hübsch: Der Roman ist gespickt mit zahlreichen Anekdoten aus Bremens jüngerer Geschichte. Der Plot der jungen Liebe ohne Anerkennung aber bleibt platt: Romeo und Julia im hanseatischen Liebestaumel. Fade der Beigeschmack, der stets mitliest. Da nutzt auch kein rosafarbenes Abschlusslacher-Plüschschweinchen, das Alberts zum Ende der Lesung auf seinem Pult platziert. Gar putzig wackelt es über die Holzfläche, versucht dem Schauplatz und der plötzlichen Öffentlichkeit zu entrinnen. Warum auch immer. Dirk Strobel

Familienfoto, Teil 1 „Der Aufbruch“, Heyne Verlag, 22 Euro