Geschnittene Geschichte

Die Bremerinnen Konstanze Radziwill und Sara Fruchtmann stellen ihren Dokumentarfilm „Schnitt – Der Regisseur und die Cutterin“ im Kino 46 vor – eine Hommage nicht nur an Eberhard Fechner

Es ist nicht einfach, einen Film über Filmmenschen zu drehen. Die wissen eben zu gut Bescheid. So auch die alte Frau am Strand. Ständig gibt sie Regieanweisungen, anstatt sich endlich mal ruhig aufnehmen zu lassen.

Die Szene stammt aus dem Dokumentarfilm „Schnitt – Der Regisseur und die Cutterin“, der heute im Kino 46 seine Bremen-Premiere feiert. Brigitte Kirsche – die alte Frau am Strand – war als Cutterin über Jahrzehnte die rechte Hand des 1992 verstorbenen Hamburger Dokumentarfilmers Eberhard Fechner. Zusammen schrieben die beiden Filmgeschichte, als sie sich radikal vom brutalen Dampfhammer-Kommentarstil der Wochenschau-Dokumentationen abwandten.

Im 1969 ausgestrahlten Streifen „Nachrede auf Klara Heydebrek“ – das Porträt einer Berliner Selbstmörderin – schnitten sie erstmalig Interviewfetzen unkommentiert und in schneller Folge hintereinander. Es entstand der Eindruck eines Gesprächs zwischen den Interviewten. Allein die Worte der Hinterbliebenen brachten das Bild der verstorbenen Frau zum Leben: Der Stil der poetischen Filmerzählung war geboren.

Dieses Kapitel der deutschen Filmgeschichte schildern jetzt zwei Bremer Dokumentarfilmerinnen. „Ich wollte auch einen Film über Filmmenschen drehen“, gibt Sara Fruchtmann zu. Sie ist die Tochter des im Sommer verstorbenen Bremer Dokumentarfilmers Karl Fruchtmann. Der Holocaust-Überlebende bekam 1987 für seine dokumentarischen Auseinandersetzungen mit den Gräueln NaziDeutschlands den Adolf-Grimme-Preis. Ihn zu porträtieren hat die Tochter allerdings vermieden. „Zu seinen Lebzeiten hätte er zuviel Einfluss genommen“, erklärt Sara Fruchtmann. „Und jetzt, kurz nach seinem Tod, fehlt mir die nötige berufliche Distanz.“ Ihre Kollegin Konstanze Radziwill hat den Schritt einer filmischen Auseinandersetzung mit ihrem Vater schon vollzogen. Der Maler Franz Radziwill gehörte zu den Hauptvertretern der Neuen Sachlichkeit. Seine Bilder sind faszinierend, seine Haltung zum Nazi-Regime bleibt umstritten. Ihm widmete die Tochter den Film „Konsequent Inkonsequent“.

Schnitt. Die bemerkenswerte Symbiose zwischen Fechner und Kirsche bot sich als Thema für die beiden Filmemacherinnen geradezu an: „Brigitte hatte maßgeblichen Anteil an den Filmen“, berichtet Radziwill. Als Fechner resigniert einen Wust von Material für den ‚Heydebrek‘-Film auf den Schneidetisch knallte, habe Kirsche sich was einfallen lassen müssen. Kennen gelernt haben sich die drei Frauen beim Dreh eines Dokumentarfilms über Olga Bontjes van Beek. „Schnitt“ ist eine Hommage an die poetische Filmerzählung, ohne deren Dramaturgie zu kopieren. „Mit Filmleuten kann man die Illusion eines ungelenkten Gesprächs nicht aufrechterhalten“, erklärt Fruchtmann. Ironische Brechungen und distanzierende Kommentare sind durch das professionelle Kamerabewusstsein vorprogrammiert.

Filmleute sind eben eigen, nicht nur vor der Kamera. Das hat auch zu längeren Auseinandersetzungen bei der Produktion geführt. „Brigitte“, verrät Radziwill, „hätte den Film am liebsten selber geschnitten.“

Tim Ackermann

„Schnitt –Der Regisseur und die Cutterin“: Bremen-Premiere heute im Kino 46, 20.30 Uhr, in Anwesenheit von Brigitte Kirsche und den Regisseurinnen