Eine Frage der Psychologie

Rot-Grün hofft auf eine stärkere Wirtschaft durch Optimismus. Deshalb setzte Wirtschaftsminister Wolfgang Clement die Wachstumsprognose hoch an

BERLIN taz ■ So richtig zusammen passte es alles nicht: Der Ölpreis kletterte gestern an den asiatischen Rohstoffbörsen auf ein Allzeithoch von 55,67 US-Dollar, der Euro stieg auf einen Kurs von knapp unter 1,28 US-Dollar. Das irritierte die Bundesregierung in ihrer aktuellen Konjunkturprognose jedoch nicht, sie gab sich weiter optimistisch.

Dieses Mal war es Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD), der für das laufende Jahr ein Wachstumsplus von 1,8 und für 2005 einen Zuwachs von 1,7 Prozent vorhersagen durfte. Dass jedoch auch der Ifo-Geschäftsklimaindex, der die Stimmung in den deutschen Unternehmen misst, zum ersten Mal seit Juli wieder nach oben zeigte, wunderte viele Volkswirte in Banken und Instituten gestern auf den ersten Blick schon. Die Bundesregierung hängt der Idee an, dass Wirtschaftswachstum viel mit Psychologie zu tun hat. Deshalb legt sie ihre Schätzungen immer ein wenig höher an als die Mehrzahl der Experten. Die führenden Forschungsinstitute prognostizieren für 2005 ein Wachstum von 1,5 Prozent, die Bundesbank und andere Banken liegen noch darunter. Nur das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und der Internationale Währungsfonds glauben an eine Konjunkturerholung mit 2 beziehungsweise 1,8 Prozent Wachstum.

Der Berliner Optimismus hat jedoch ein Problem: Die Regierungsprognose ist Grundlage für die Steuerschätzung und damit für die Haushaltsplanung. Sollte das tatsächliche Wachstum 0,3 Prozent niedriger liegen als dort erwartet, bedeutet das mehrere 100 Millionen Euro weniger Steuereinnahmen – und für Finanzminister Hans Eichel (SPD) die Aufgabe, den Haushalt anzupassen. Dazu muss er dann möglicherweise Kredite aufnehmen – und verfehlt vermutlich den Stabilitätspakt.

Noch einfacher lässt sich der Optimismus der Unternehmen im Ifo-Index erklären: Die jüngsten Höhenflüge beim Euro und beim Ölpreis wurden bei der Umfrage in rund 7.000 Unternehmen noch nicht erfasst. Trotzdem lieferte er immerhin der Bundesregierung ein kleines Stückchen Unterstützung. Deren Sprecher Béla Anda zumindest vereinnahmte die Stabilisierung gestern gleich als „Bestätigung unserer Politik“. BEATE WILLMS