Ende der Gnadenfrist

Nur noch bis zum 18. Dezember brennt Licht im „Kanzlerbungalow“ (donnertags, 23 Uhr) – die Sendung war zu frisch für den WDR

aus dem Kanzlerbungalow MARTIN WEBER

Es ist bequem, aber nicht zu weich. Man sitzt gefällig, hat genügend Halt im Gesäßbereich und braucht keinen Gedanken daran zu verschwenden, von jetzt auf gleich hintenüber zu kippen. Und doch ist es keine Schlafstatt wie jede andere. Was Steffen Hallaschka, Moderator der wöchentlichen gesellschaftlichen Bestandsaufnahme „Kanzlerbungalow“, noch einmal unmissverständlich zum Ausdruck bringt. „Wir sitzen hier auf dem Bett von Loki Schmidt. Oder auf dem von Hannelore Kohl, ganz wie man will. Vor der Sendung pflege ich im Gästeklo noch mal pinkeln zu gehen. Womöglich hat da auch schon Giscard d’Estaing sein Wasser abgeschlagen, und vielleicht ist Maggie Thatcher dort beim Kacken eine Idee gekommen. Das ist hier wie Museum, nur eben echter und lebendiger.“

Der Odem von Bonn

Der Odem der Bonner Republik ist überall auf den 225 privaten Quadratmetern des Kanzlerbungalows zu spüren. Der Fernseher: ein Nordmende Spectra. Die Stereoanlage: ein so genannter Schneewittchensarg von Braun. Die Tonträger: Vinylware von Fritz Brause bis Whitney Houston. Viele Bars in Berlin-Mitte, die gerne besonders szenenasig wirken wollen, geben sich allergrößte Mühe, so auszusehen. Unter dem Licht der Glasbaustein-artigen Deckenbeleuchtung steht noch das Sofa, auf dem Helmut Schmidt und Klaus Bölling die Tassen hoben, im Atrium befindet sich der Swimmingpool, in dem Bauherr Ludwig Erhardt einst plantschte – der seinerzeit als verschwenderisch angeprangerte Swimmingpool war spätestens für Kohl nur eine bessere Badewanne.

„Abgefahren ist ein abgeschmackter Begriff“, sagt Britta Windhoff, Redakteurin beim WDR, „aber er trifft es am besten. Als wir zur ersten Besichtigung hier waren, stand im Bad noch ein Haarspray rum. Das muss von Hannelore Kohl gewesen sein, die hat schließlich zuletzt hier gewohnt. Willy Brandt hat hier nur die offiziellen Empfänge gegeben. Lange gewohnt haben hier nur die Schmidts und dann natürlich die Kohls.“

Bescheidene Ergebnisse

Das wahrlich ungewöhnliche Ambiente konnte bisher jedoch die schnöde Quotenrealität nicht ausblenden, und so kämpfte das Team vom „Kanzerbungalow“ weiter wacker gegen bescheidene Einschaltergebnisse an, um dem eigenen Anspruch und Geschmack immer wieder neu gerecht zu werden.

„Das klassische Regelwerk des politischen Journalismus im öffentlich-rechtlichen Fernsehen greift bei uns nicht, wir müssen keine Distanz halten“, sagt Hallaschka. „Wir versuchen, keine Rituale zu bedienen.“

Das ist schon das ein oder andere Mal prächtig gelungen. Zum Beispiel dann, wenn man Oskar Lafontaine in jeder Sekunde ansieht, dass er den Kanzlerbungalow gerne früher von innen kennen gelernt hätte. Oder wenn Hans-Hermann Tiedje, ehedem Berater von Kanzler Kohl, noch einmal feist auf dem Sofa Platz nimmt und genüsslich eine Zigarre pafft. Und natürlich auch dann, wenn Hallaschkas Kollegen „Dr.“ Wigge und Patricia Pantel zum Thema „Politikverdrossenheit“ am Kummertelefon die Anrufe von politikverdrossenen Politikern entgegennehmen. Vom Moderator wird hier keiner vorgeführt, das übernehmen die Protagonisten schon selbst.

Im „Kanzlerbungalow“ brennt also wieder Licht. Wie aus den gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen verlautet, allerdings nur noch bis zum 18. Dezember. Dann drückt der Sender auf den Schalter und knipst das Licht wegen schwächelnder Quoten aus. Womit dann wieder einmal bewiesen wäre, dass eine flotte Jolle wie der „Kanzlerbungalow“ neben einem behäbigen Dampfer nicht lange schwimmen darf. Die Eselskappe aufgezogen und ab in die Ecke: Schäm dich was, WDR.