Ein „schwarzes Informationsloch“ im Irak

Der Bericht einer Hilfsorganisation zur Gesundheitsversorgung zeigt vor allem das Problem fehlender Statistiken

BERLIN taz ■ Die Folgen des Irakkrieges für das Gesundheitssystem des Landes werden möglicherweise noch jahrelang, wenn nicht über Generationen hinweg, für die Bevölkerung spürbar sein. Das geht aus einem Bericht der britischen Hilfsorganisation Medact hervor, die eine Sektion der „Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg“ (IPPNW) ist. Die Untersuchung wurde mit Hilfe eines internationalen Teams von Ärzten und Wissenschaftlern durchgeführt und gestern in London vorgestellt.

Die medizinische Versorgung der Bevölkerung, die bereits seit dem zweiten Golfkrieg 1991 und den nachfolgenden internationalen Sanktionen schwer in Mitleidenschaft gezogen war, hat sich dem Bericht zufolge seit dem jüngsten Krieg weiter verschlechtert. Die angeführten Ursachen sind der interessierten Öffentlichkeit bereits größtenteils bekannt: der Zusammenbruch der Wasser-und Stromversorgung; eine deutliche Zunahme von Krankheiten wie Typhus und Cholera; die vorübergehende Einstellung von Impfprogrammen für Kinder; Mangelernährung; die Folgen des Einsatzes von Splitterbomben und Minen. Hinzu kämen psychische Probleme von Zivilisten und ehemaligen Soldaten. Die einzige psychiatrische Klinik des Landes in Bagdad wurde – wie viele andere Krankenhäuser auch – nach dem Sturz des alten Regimes geplündert.

Mit aktuellen Zahlen, die diese Entwicklungen belegen, können die Autoren nur in Einzelfällen aufwarten. Das geben sie auch offen zu. „Die ganze Konsequenz des Krieges für die Gesundheit wird erst in Jahren bekannt sein, wenn überhaupt“, heißt es in dem Bericht. Und weiter: „Das Fehlen verlässlicher Daten, das Versagen der Besatzer, umfassende Informationen zur Verfügung zu stellen, und die Verschlechterung der Sicherheitslage, die dazu geführt hat, dass die meisten Mitarbeiter der UNO und der regierungsunabhängigen Organisationen das Land verlassen haben, haben zu einem einzigartigen scharzen Loch an Informationen geführt.“

Daher ist auch bei Opferzahlen Skepsis angebracht. „Vorsichtige Schätzungen“, so der Bericht, gehen von insgesamt 22.000 bis 55.000 Toten aus, darunter rund 6.000 irakische Zivilisten. Über getötete irakische Soldaten gibt es gar keine Informationen. Medact ist ehrlich genug, auch seine Vorkriegseinschätzung aus dem Jahr 2002 zu nennen: Damals ging die Organisation von 49.000 bis 261.000 Toten aus. Die Differenz wird damit erklärt, dass das alte Regime schneller als erwartet zusammenbrach und keine Massenvernichtungswaffen eingesetzt wurden.

Die Autoren des Berichts warnen davor, bei aktueller Hilfe langfristige Ziele außer Acht zu lassen. So sei es durchaus sinnvoll, in der Nachkriegssituation das Arbeiten der Krankenhäuser sicherzustellen. Perspektivisch sei den Menschen jedoch mit einer guten medizinischen Grundversorgung mehr geholfen. „Die Gesundheitsversorgung spielt eine wichtige symbolische Rolle bei der Förderung gesunder Beziehungen zwischen den Bevölkerungsgruppen. Gesundheit ist eine potenzielle ,Brücke zum Frieden’ “, heißt es abschließend etwas pathetisch. BEATE SEEL