Avantgardist im Kampf gegen Ausbeutung

Jeden Montag gegen Hartz IV zu protestieren, ist dem Kölner Hubert Schulz (88) eine moralische Pflicht. Der unverbesserliche Idealist kämpft seit mehr als einem halben Jahrhundert gegen „die Versklavung des Menschen“

Köln taz ■ Viel Neues passiert derzeit nicht auf der Kölner Montagsdemo: Zum wöchentlichen „Offenen Mikrofon“, das die üblichen Redner zur bekannten Argumentation gegen die Hartz-Reformen nutzen, trafen sich am Montag Abend knapp 150 Demonstranten auf der Domplatte. Anschließend marschierte man durch die Innenstadt zum Chlodwigplatz. Weil „wir keinen besseren Vorschlag hatten“ und man auf dem Weg durch die Severinstraße viele Menschen antrifft, hieß es zur Begründung von einem der Organisatoren.

Einer der unverdrossenen Protestler auf der Domplatte ist Hubert Schulz. Seit nunmehr fast drei Monaten kommt der 88-Jährige, wenn er nicht anderweitig beschäftigt ist und wenn seine Gesundheit es zulässt, zur Montagsdemo. „Die Demonstrationen sind doch vor allem eine symbolische Sache, da kommt es nicht so auf die Masse an“, meint der frühere Journalist, taz-Genossenschafter und immer noch aktive Gewerkschafter. Trotzdem ärgert er sich ein wenig darüber, dass „die Medien“ nur noch wenig über die Anti-Hartz-Proteste im Lande berichten und damit seiner Ansicht nach für das Abflauen der Proteste verantwortlich sind.

Andererseits weiß der sozialistische Kämpe, dass die Mehrheit der Menschen ohnehin zu politischen Themen lieber schweigt und in der Regel einfach macht, was „von oben“ vorgebetet wird. „Das war auch so, als der Hitler kam“, zieht Schulz einen gewagten Vergleich. Damals wäre die Mehrheit der Deutschen auch nicht überzeugt nationalsozialistisch gewesen, hätte sich aber nach der Machtübernahme der Nazis dem neuen Zeitgeist sehr schnell angepasst. Schulz dagegen hat 18 Monate im Gefängnis gesessen, weil er sich nicht den Mund verbieten ließ. Seit damals weiß er: „Die Masse hat noch nie Revolutionen gemacht.“

Er selbst hingegen sieht sich als Teil einer Avantgarde, die – wie die Montagsdemonstranten – gegen kapitalistische Ausbeutung und Fremdbeherrschung zu Felde zieht: „Seit mehr als 50 Jahren kämpfe ich gegen die Versklavung des Menschen.“ Sein Traum: Jeder Mensch hat ein garantiertes „Mindesteinkommen“, eine Art Bürgergeld, und kann sich daher aussuchen, ob er arbeiten will. „Ich bin dafür, dass alles umsonst ist“, sagt der unerschrockene Idealist. Einen Anfang könnte man ja mit dem Brot machen: „Das müsste von der Gesellschaft bezahlt werden.“Susanne Gannott