Oslo bricht den langen Ölstreik

Nach Streikende sank der Ölpreis sofort leicht. Ölkonzerne verbuchen Milliardengewinne

Die Ölarbeiter verdienen gut, aber sie fürchten sich vor Jobs unter Billigflaggen

VON REINHARD WOLFF

In Norwegen haben sich die Wogen in der Ölindustrie wieder geglättet. Nach der Zwangsvermittlung, die die norwegische Regierung im vier Monate währenden Streik angeordnet hatte, gehen die Beschäftigten heute wieder an die Arbeit. Der Ölmarkt reagierte mit sinkenden Rohölpreisen. Nach einem Rekordhoch am Montag sank der Preis gestern für ein Barrel der Nordseesorte Brent um 31 US-Cent auf 50,47 Dollar. Auch die New Yorker Referenzsorte Light Sweet Crude verbilligte sich leicht.

Norwegen ist nach Saudi-Arabien und Russland der drittgrößte Erdölexporteur der Welt und fördert normalerweise täglich 3,2 Millionen Barrel. Durch den Streik war die Menge um 55.000 Barrel täglich gesunken. Die norwegische Regierung wollte den schwindenden Erlösen nicht weiter tatenlos zusehen.

Elfmal in den letzten 14 Jahren haben die jeweiligen norwegischen Regierungen Streiks von Ölarbeitern gesetzlich gestoppt. Den zwölften derartigen Eingriff in das Arbeitskampfrecht hatte Arbeitsminister Dagfinn Høybråten am Montagabend angekündigt. Seit 4 Monaten köchelt der Streik einiger hundert Ölarbeiter vor sich hin, die in der kleinen Gewerkschaft OFS (Oljearbeidernes Fellessammenslutning) organisiert sind.

Es ging der OFS nicht um mehr Lohn – die Beschäftigten der Ölplattformen gehören mit einem Lohn von jährlich ca. 75.000 Euro mit Abstand zu den Bestbezahlten der gesamten norwegischen Industrie –, sondern um eine langfristige Sicherung der Arbeitsplätze. Die Gewerkschaft wollte festschreiben lassen, dass auf den Ölfeldern ausschließlich norwegisches Arbeitsrecht gilt. Sie befürchtet, dass die schwimmenden Ölplattformen zur Ölbohrung und Suche nach neuen Vorkommen ähnlich wie „normale“ Schiffe in Billigflaggenländer ausgeflaggt werden könnten. Der norwegische Reedereiverband verweigerte bislang alle entsprechenden Zusicherungen und forderte eine weitere Einschränkung des Streikrechts im Tarifvertrag. Die Ankündigung einer umfassenden Aussperrung zog der Reedereiverband aber gestern zurück.

Die Einmischung der Regierung hat mit der Schlüsselposition der Ölförderung zu tun, die für über 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und knapp die Hälfte des norwegischen Exportwerts steht. Der Fiskus kassiert bei dem zu 77 Prozent staatseigenen Konzern „Statoil“ durch Gewinnsteuern und Dividenden. Allein für das zweite Quartal erwirtschaftete der Konzern eine Verdreifachung seines Gewinns auf 1,7 Milliarden Euro, was vor allem auf die Ölpreissteigerung zurückzuführen ist.

Auch andere Ölkonzerne verdienten kräftig an der Ölpreissteigerung. Der britische Konzern BP meldete einen Rekordgewinn im dritten Quartal. Der Überschuss stieg nach BP-Angaben auf 3,94 Milliarden US-Dollar, eine Steigerung um 43 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Überschuss in den ersten neun Monaten 2004 wird sich damit auf 12,56 Milliarden Dollar belaufen, ein Plus von insgesamt 26 Prozent. Shell wird seine neuen Quartalszahlen morgen bekannt geben, ExxonMobil am 5. November. Im vergangenen Monat hat der Preis pro Barrel Rohöl um zehn Dollar zugelegt. Rohöl-Kontrakte sind derzeit über 80 Prozent teurer als im Vorjahr.

Die Internationale Energie-Agentur (IEA) warnte gestern vor einem weltweit dramatisch ansteigenden Energieverbrauch und einer immer größeren Abhängigkeit von Ölproduzenten. In ihrer Studie „Welt-Energie-Ausblick 2004“ geht die IEA davon aus, dass Unternehmen und Privathaushalte im Vergleich zu heute 59 Prozent mehr Energie brauchen. Diese werde ohne Politikwechsel zu mehr als vier Fünfteln aus fossilen Trägern stammen. Zwei Drittel des prognostizierten Verbrauchszuwachses gehe von Entwicklungsländern aus.