Ursula Rucker verwebt in der Fabrik ihre Spoken-Word-Performances mit Elektro-Soul
: Stimme keines Herrn

„HipHop Is Not A Music/It‘s A Culture/It‘s A Culture“ spricht Ursula Rucker in „Untitled Flow“, einem ihrer neuen Tracks. Erschienen ist das Stück auf Silver or Lead, dem im Sommer veröffentlichten zweiten Album der Spoken Word-Künstlerin Ursula Rucker. „Untitled Flow“ ist deshalb ein Schlüsselwerk Ursula Ruckers, weil sie darin über ein immer wiederkehrendes Rucker-Thema redet: Die Lage des schwarzen Amerika. Und weil sie sich auch in Interviews immer wieder darüber beklagt, dass niemand im HipHop bis auf ein paar Talib Kwelis und Mos Defs diesen Auftrag annehme. Was also in mit allen Theoriewassern gewaschenen Zirkeln vielleicht wie ein pädagogischer Trick anmutet, ist vielmehr ein geduldig wiederholtes Mahnen: „Es ist eine Kultur.“

Ursula Rucker weiß, dass solch eine Zeile auch dazu beitragen kann, Afro-Amerika als künstliche Einheit zu kreieren, die es so gar nicht gibt. Doch sie hält ihr Ohr an die Realität um die Ecke, und dort laufen sie ein, die Indizien einer strukturellen Benachteiligung, die immer noch aus der Zeit der Sklavenverschiffungen aus Afrika herrührt.

Ein Beispiel dafür ist etwa „The Return To Innocence Lost“, worüber Rucker nicht gerne befragt wird: „Sagen wir, es ist mein intimstes Gedicht“, sagt sie über die Geschichte ihres verstorbenen Bruders, der gewaltsam ums Leben kam. Zu den verwehten Soundlandschaften der HipHop-Liveband The Roots führt Ursula Rucker ein Epos auf. Am Ende mündet die Realtragik des Gedichts in die Erlösungshoffnungen des Christentums: die Rückkehr ins Paradies, wo verlorene Unschuld wartet.

Denn Ursula Rucker ist Katholikin, und gemeinsam mit ihren drei Söhnen besucht sie regelmäßig die Gottesdienste einer Gemeinde in Philadelphia. „Ich denke, der Papst müsste einige Dinge mal bedenken“, sagt Rucker über den Herren dieser Konfession. „Ich habe Glück gehabt und in meiner Stadt eine sehr offene Gemeinde gefunden, viele Künstler kommen dahin, doch auch Leute aus allen Schichten.“ Während Rucker allerdings gegenüber ihren schwarzen Leuten durchaus einmal in einen apellativen Ton verfällt, taucht Glaube stets als Privatsache, als rein subjektive Erlebnis- und Verarbeitungsform auf: Eine Missionarin ist Ursula Rucker nicht.

Doch sie inszeniert gegen etwas an: Die reale Geschichte gegen Gewalt-als-Verkaufsformat, die weit ausholende Erzählung gegen zu viele „Real HipHop Is....“-Zeilen. Dazu gehört schließlich auch die Frau als Nicht-Bitch, denn: „Her Heart – Open, Her Legs – Open“ lautet Ruckers Befund für die Standard-Anforderung an Frauen in „What A Woman Must Do“, einem weiteren Track auf Silver or Lead.

Klar, Missy Elliott kriegt das schon hin mit der Selbstdefinition eines Schimpfwortes wie „Bitch“, doch dazu gehört eine Rampensau-Seite, die nicht die Sache der introvertierten Intellektuellen ist. Rucker setzt denn in Frauenfragen auf eine essentialistische Strategie: Sie trägt große Frauen des letzten Jahrhunderts am Leib, Frida Kahlo am Ring und die ehemalige Black Panther-Aktivistin Angela Davis als T-Shirt. „Mit der Kahlo verspüre ich eine enge Geistesverwandtschaft, wir sehen uns ähnlich und sie litt unter ähnlichen Rückenschmerzen wie ich. Auch Angela Davis ist einfach eine so schöne Person: Wir bräuchten mehr von ihnen.“

Christoph Braun

Montag, 21 Uhr, Fabrik