An der Grenze zum Altpapier

Dank Internetauktionator eBay werden Träume wahr – zumindest für Zeitschriftensammler. Alte „Geo“ und „Spiegel“ kriegt man nachgeschmissen, der „Playboy“ ist nur mit Kati Witt gefragt, aber bei „mare“ explodieren die Preise. Eine Marktübersicht von DIETMAR BARTZ

Abonnenten der Meereszeitschrift mare haben’s gut. Wer das Magazin von 1997 an gesammelt hat, muss keinen Cent dazubezahlen. Im Gegenteil: Alle 40 bisher erschienenen Ausgaben zusammen haben rund 300 Euro gekostet – gebraucht sind sie schon mehr als das Doppelte wert. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte richtet sich an Späteinsteiger, die noch nicht alle Hefte beisammen haben: Die Schließung der Lücken wird richtig teuer. Besonderes Pech hat, wem das erste Heft (Thema: „Transatlantik“) fehlt. Der Preis allein dafür liegt im Moment bei 230 Euro. Aber die Hefte 2 („Muschel“) und 3 („Welle“) kosten auch schon 70 bzw. 100 Euro. Vor zwei, drei Monaten kosteten sie noch die Hälfte. Der Markt für rare mare-Ausgaben ist völlig aus den Fugen.

Dem deutschen Ableger des Auktionshauses eBay sei’s gedankt. Die Internet-Plattform, auf der jedermann und jedefrau ver- oder ersteigern kann, ist nicht mehr nur die erste Adresse für Elektronik oder Altkleider-Recycling, sondern auch ein Dorado für Sammler geworden. Hauptgrund: Mit einem Euro liegt das Mindestgebot äußerst niedrig, außerdem sind die Transaktionskosten gering, aus denen sich eBay finanziert. So umfasst die eBay-Abteilung „Sammeln & Seltenes“ ständig mehrere zehntausend Angebote.

Die Freunde von Siku-Autos und Ansichtskarten, Bierdeckeln oder Comics verfügten allerdings bereits vor dem Aufkommen von eBay über einen Markt, eine gut funktionierende Infrastruktur mit Katalogen, Fanzines, Verkaufsmessen und sogar eigenen Läden. Für Heftchen- und Zeitschriftensammler hingegen blieb nur der Gang zum Trödler und über Flohmärkte – und damit das Zufallsprinzip. Auch auf Websites wie dem Antiquariatsverzeichnis zvab.com herrschte meist Fehlanzeige – die Magazine bieten auch bei gutem Erhaltungszustand oft nur winzige Verdienstspannen.

Seit aber die Mitgliederzahl bei eBay schnell steigt, entwickelt sich dieser Nebenmarkt mit Schwung – hunderte nutzen nun in der eBay-Rubrik „Zeitschriften“ die Chance, die einst geliebten Altlasten loszuwerden, die das Bücherregal verstopfen oder in Umzugskartons im Keller lagern. Hart an der Grenze zum Altpapier werden jetzt Wunder wahr: Auch hier können die Männer von Vollständigkeit und die Frauen von Vielfältigkeit träumen – so geschlechtsspezifisch scheidet jedenfalls die gängige Sammeltheorie die beiden Haupttypen der Maniacs.

Dabei entwickeln sich Angebot und Nachfrage für einzelne Hefttitel allerdings völlig unterschiedlich, wie eine kleine Marktuntersuchung zeigt. Halbwegs ausgeglichen ist die Struktur bei Perry-Rhodan-Heften, von denen bisher 2.200 Titel erschienen sind. Offenbar wollen immer wieder Neueinsteiger die älteren Science-Fiction-Abenteuer nachlesen. Das macht zwar mit drei bis fünf Euro pro Jahrgang noch keine guten Preise, aber doch (Umsatz-)Masse. Für Klasse sorgen – wie bei vielen anderen Periodika auch – die ersten Nummern. So bringt das Original-Heft 1 („Unternehmen Stardust“), 1961 erschienen, in gutem Zustand 50 Euro, und bis Heft 30 sind noch locker 5 Euro pro Ausgabe zu erzielen. Trotz wesentlich kleinerem Angebot ist die Lage bei der Zeitschrift Das Motorrad ganz ähnlich: Vollständige Jahrgänge um 1950 bringen um 50 Euro, aber auch spätere Nummern finden zu niedrigen Preisen noch Liebhaber.

Anders liegt der Fall bei den Merian-Heften: Die Nummern der späten 40er-, frühen 50er-Jahre gehen problemlos für mehr als zehn Euro über den digitalen Verkaufstresen. „Ostpreußen“, „Pommern“, „Augsburg“, aber auch das Südafrika-Heft von 1952 werden aber offenbar nicht von Merian-, sondern von Themensammlern nachgefragt oder als Geschenkartikel gesucht. Denn schon ab der zweiten Hälfte der 50er-Jahre sinkt bei reichlich Angebot die Nachfrage auf null. Ergebnis: Nach Ablauf der Auktionszeit verschwinden die jüngeren Hefte, die nicht einmal für einen Euro loszuschlagen waren, tauchen nach kurzer Anstandsfrist wieder auf und durchlaufen einen weiteren eBay-Zyklus – ebenso erfolglos.

Vollkommen übersättigt ist der Markt für Geo-Magazine – als ob ganze Gymnasiallehrkörper das langweilige Grün der Heftrücken nicht mehr sehen können. Selbst die frühen Ausgaben der 70er-Jahre bringen überhaupt nichts, viele Jahrgänge finden nicht einmal für einen Euro einen Abnehmer, eine Sammlung von 1976 bis Ende 2000 war Anfang November für 100 Euro unverkäuflich. Dabei wären die Hefte sogar benutzbar, denn auch preiswerte Registerbände sind auf dem Markt. Noch günstiger war ein Angebot aus Iserlohn bei Dortmund: alle 270 bisher erschienenen Hefte für 67 Euro. Selbst diese Offerte blieb eine Woche lang ohne Gebot. Der Verkäufer hätte den zentnerschweren Geo-Berg sogar bis in 100 Kilometer Entfernung selbst vorbeigebracht – nutzte alles nichts.

Kleiner Trost für Geo-Freunde: Wenigstens die Specials mit attraktiven Themen laufen mit Preisen bis 5 Euro ordentlich und die Ausgaben des Geschichtsmagazins Epoche sogar gut. Nr. 1, das „Millennium“-Heft, bringt 25 Euro, Nr. 2, das vor drei Jahren ebenfalls schnell vergriffene „Mittelalter“-Heft, findet für 20 Euro seine Bieter.

Wie Geo- sind auch Spiegel-Sammlungen nichts wert. Für Leute, die ihre Nachrichtenmagazine loswerden wollen, kommt erschwerend noch hinzu, dass es die jüngeren Spiegel-Jahrgänge bei eBay auch preiswert auf DVD gibt, 1994 bis 2002 für 15 Euro, beispielsweise. Interessante Titelgeschichten – gerade liegt Kuba hoch im Kurs – bringen aber ein paar Euro, mit dem ulkigen Effekt, dass ganze Jahrgänge preiswerter sind als Einzelhefte aus ihnen. Die Erklärung: Der allergrößte Teil gilt sowieso als Altpapier. Und die Portokosten nehmen beim Versand billiger Artikel schnell einen unverhältnismäßigen Anteil ein.

Das gilt selbst für die deutsche Ausgabe des Playboy, von dem ebenfalls eine Welle von Verkaufsofferten auf die eBay-Seiten schwappt: Nur Einzelhefte mit prominenten Nackedeis, die auch angekündigt werden, finden immer ihre Kunden – jedes Heft mit Kati Witt wird auch verkauft.

Kein Markt für „Emma“

Für eine Menge Titel gibt es allerdings überhaupt keinen Markt mehr. Die Zeitschrift Konkret hatte sich die ganzen 80er-Jahre darum bemüht, vergriffene Hefte zurückzukaufen und an die Abonnenten weiterzuvermitteln, um ein Sammlerwesen aufzubauen. Doch auf eBay suchen die Besitzer nun vergeblich nach Neuinteressenten. Fehlanzeige auch bei Emma und Pardon; die Titanic-Erstausgaben vom November 1979 bringt immerhin 3,05 Euro.

Bei mare hingegen ist alles anders. Weil die Nachfrage das Angebot deutlich übersteigt, sind hier innerhalb weniger Monate die Kurse explodiert. Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens ist das Sammelziel überschaubar: maximal 40 Hefte, von denen derzeit 14 vergriffen sind. Zweitens werden viele Interessenten, seitdem sich der mare-Handel im Internet herumgesprochen hat, offenbar nur wegen ihrer Jagd auf fehlende Ausgaben eBay-Mitglieder. Sie machen dort nur eins: mare-Hefte kaufen, wie aus den öffentlich zugänglichen Benutzerprofilen hervorgeht. Drittens spielt Geld offenbar überhaupt keine Rolle mehr. Vor dem Rekord von 238,50 Euro in der Nacht auf Mittwoch lag der Bestpreis für Heft 1 (vom Oktober) bei 112 Euro. Die letzten Preise für Heft 3 schwankten zwischen 41 und 71 Euro, seit vorgestern sind es 102 Euro. Bei sorgfältiger Preisbeobachtung und mit etwas längerem Atem wären die meisten vergriffenen Hefte auch für die Hälfte der neuen Höchstpreise zu haben – aber die Neulinge überbieten sich so rabiat, als ob eBay morgen den Geschäftsbetrieb einstellen würde und der Handel mit mare-Heften damit zum Erliegen käme.

Wenn damit die Phase der Überhitzung eingetreten ist, müsste eigentlich der nachfolgende Zusammenbruch nicht mehr allzu fern sein. Doch noch ist das Ende des „mare-Bubble“ nicht abzusehen, weil weiterhin mehr Nachfrager als Anbieter neu zu eBay stoßen. Außerdem lassen bislang die Spekulanten, die sonst die Preise treiben, ihre Finger von diesem Minimarkt, denn offensichtlich ist eine halbwegs transparente allgemeine Preisfindung nicht möglich.

Bislang legte, wer auf Flohmärkten herumkramte und auf günstige Zeitschriften aus war, den Preis dafür oft durch sein Auftreten gegenüber dem Händler fest: je beiläufiger das Interesse, umso niedriger die Kosten. Das Vergnügen, um einen Euro zu feilschen, ersetzt eBay durch den Luststress, fiebrig gegen Konkurrenten aus dem ganzen Land zu bieten. Spannend sind beide Erwerbsmethoden: Der Entdeckerfreude in einem Trödelladen entspricht die Erleichterung am Briefkasten, wenn ein Bieter feststellt, dass sich das ersteigerte Stück tatsächlich im versprochenen Zustand befindet.