Wirtschaftsmotor gesucht

Auch nach Abschaltung des Atomkraftwerks bleibt Stade ein Industriestandort. Politik und Wirtschaft setzen auf Chemie, Flugzeugbau, Kohlefaser-Kunststoff und vor allem auf die Autobahn A26 durch das Alte Land nach Hamburg

Die Autobahn könnte sich einmal als wichtiger erweisen als das Atomkraftwerk

von GERNOT KNÖDLER

In Stade ist das Thema durch. Drei Jahre hatten die Menschen in der Umgebung des Atomkraftwerks Zeit, sich auf den Verlust dessen einzustellen, was der Stader Wirtschaftsförderer Thomas Friedrichs „Motor der Industrialisierung“ nennt. Inzwischen ist klar, dass die Industrie, die sich hier seit Anfang der 70er Jahre angesiedelt hat, nicht mit dem AKW verschwinden wird. Stadt und Kreis haben eine Reihe von Initiativen ergriffen, um den Verlust zu kompensieren. Neuer Wirtschaftsmotor könnte das Airbus-Werk werden.

Stade leidet auf hohem Niveau. Zwischen 1995 und 2001 sei die Bevölkerung um fünf Prozent gewachsen, gegenüber 2,3 Prozent im Landesdurchschnitt. Die Arbeitslosenquote lag in den vergangenen Jahren stets unter dem Landesdurchschnitt. Zurzeit liegt sie bei 7,4 Prozent. In Hamburg waren es im Oktober 9,3, in Niedersachsen 8,9 Prozent. „Wir profitieren davon, dass wir in der Metropolregion einen Vielzahl von Arbeitsmöglichkeiten haben“, sagt Friedrichs.

Doch das Aus fürs AKW wird eine Lücke reißen: Knapp 180 Arbeits- und 20 Ausbildungsplätze im Werk werden wegfallen. Dazu kommen rund 300 Arbeitsplätze bei Service- und Partnerunternehmen des Kraftwerks, wie Friedrichs schätzt. Ganz abgesehen von indirekten Effekten etwa durch die 1.000 Mann, die jährlich zur Revision des Kraftwerks anrückten. Für die Schließung des Akzo-Salzwerks durch seine neue niederländische Muttergesellschaft war die Stilllegung des Kraftwerks zumindest eine Rechtfertigung gewesen. Die Saline bezog aus dem Atommeiler billige Fernwärme.

Ein direkter Ersatz für das Werk sei zwar nicht in Sicht, sagt Christian Freiherr von Bredow, stellvertretender Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer. Jedoch werde sich die Infrastruktur in nächster Zeit stark verbessern: Die Autobahn 26 von Stade nach Hamburg ist im neuen Bundesverkehrswegeplan als „vordringlicher Bedarf“ ausgewiesen; ebenso die Elbquerung der künftigen Westumfahrung Hamburgs A20. Im Jahr 2010 oder 2012 soll die A26 fertig sein. „Das alles könnte möglicherweise einmal wichtiger sein als das Atomkraftwerk“, sagt Bredow. Bereits 2007 soll die S-Bahn aus Hamburg bis nach Stade durchfahren.

Friedrichs zufolge ist die Autobahn zum Beispiel dafür verantwortlich, dass Stade bei einem Standort-Ranking des Manager-Magazins auf Platz 60 von 63 gelandet sei. Dabei liege Stade bei der Bruttowertschöpfung unter den 38 Kreisen Niedersachsens auf Platz drei. „Mit der BMW-Bewerbung haben wir nachgewiesen, dass wir zu den TOP-12-Standorten in Europa gehören“, sagt Friedrichs. Die Autofabrik kriegte zwar Leipzig, aber bloß wegen der Subventionen.

Um gemeinsame Stärken auszubauen, entwickelt der Kreis mit den übrigen Kreisen am Südufer der Elbe und dem Hamburger Bezirk Harburg ein Wachstumskonzept. „Wir helfen uns selbst, weil Hilfe von außen schwierig zu kriegen ist“, sagt Landrat Günter Armonat. Man werde sich auf die Cluster Chemie, Luftfahrt und neue Werkstoffe konzentrieren, sagt er.

Eine zentrale Rolle dabei, spielt das achteinhalb Millionen Euro teure Technologiezentrum in Stade, das zur Hälfte vom Land bezahlt wird. Es knüpft an das Airbus-Werk an, in dem die fortschrittliche Technik des kohlefaserverstärkten Kunststoffs (CFK) gepflegt wird. Mehr als 120 Millionen Euro habe Airbus in den vergangenen zwei Jahren in das Werk investiert, sagt Friedrichs. 120 Arbeitsplätze seien allein bei Airbus entstanden.

Mit dem Stichwort CFK-Leichtbau will Friedrichs Forscher und Fabriken an Schwinge und Elbe locken. „Alle Autohersteller sind an dem Thema dran“, sagt der Wirtschaftsförderer, dem für die Zukunft eine einschlägige Großserienfertigung vorschwebt.

Da die Schließung der letzten Fachhochschule der Region in Buxtehude ansteht, hoffen Friedrichs und Armonat, das Fraunhofer-Institut und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrtforschung vom Standort überzeugen zu können. Bis zum Juli nächsten Jahres soll das Technologiezentrum fertig sein. „Es sieht so aus“, so Thomas Friedrichs zuversichtlich, „als würden die Forscher kommen.“

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